: Bosnien bleibt Drehscheibe für Frauenhandel
Seit dem Ende der UN-Mission im Dezember 2002 und der Reduktion internationaler Truppen sind Zwangsprostitution und Frauenhandel in Bosnien rückläufig. Doch nach wie vor werden Frauen durch Bosnien nach Westeuropa geschleust
SARAJEVO taz ■ Enes ist erst 27 Jahre alt. Doch der junge Mann hat in seinem Leben schon viele gefährliche Jobs gehabt. Jetzt bei einer Firma als Wächter angestellt, zählte er einst zu den von vielen jungen Männern beneideten Bodyguards, die mit ihren Sonnenbrillen und italienischen Anzügen anrüchige Etablissements im Rotlichtdistrikt von Ilidza bewachten.
„Noch vor drei Jahren wurden viele Geschäfte mit den Mädchen gemacht“, sagt Enes und deutet auf die jetzt gähnend leeren Cafés an der Flanierstraße des Vorortes der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. „Hier waren alle Plätze besetzt.“ Viele Soldaten der internationalen SFOR-Truppen, UN-Leute und andere Mitarbeiter internationaler Organisationen suchten hier Zerstreuung. „Doch das ist ein schmutziges Geschäft, ich war dumm, dachte nur an das Geld, jetzt bin ich verheiratet, habe ein kleines Mädchen. Wenn ich daran denke, dass meine Kleine einmal so wie Frauen hier behandelt würde, wird mir schlecht.“
Er deutet auf eines der jetzt leer stehenden Gebäude. Da habe es einen großen Puff gegeben, die Mädchen kamen aus Rumänien und der Ukraine. „Einige von ihnen wollten nicht als Prostituierte arbeiten, unser Chef befahl uns, sie zu schlagen, bis sie gefügig waren.“ Vor der Polizei brauchten sie damals keine Angst zu haben. „Die lokalen und die UN-Polizisten haben zwar Patrouillen gemacht, hin und wieder auch eine Razzia. Aber wir wurden vorher gewarnt.“
Enes und seine Kollegen brachten die Frauen weg, die Polizei kam, und schon kurz darauf ging das Geschäft weiter. „Manchmal sind die gleichen Polizisten am Abend als Kunden wieder aufgetaucht“, sagt Enes. „Vor allem UN-Leute aus den arabischen und afrikanischen Ländern haben sich hier bedient.“
Doch diese Zeiten sind jetzt vorbei. Nur noch 7.000 SFOR-Soldaten gibt es in Bosnien, und die meisten von ihnen dürfen nur dienstlich die Kasernen verlassen. Im Dezember 2002 war die UN-Mission zu Ende. An die Stelle der rund 5.000 UN-Polizisten sind einige Hundert EU-Polizisten getreten, denen es verboten ist, außer Dienst ein solches Lokal zu betreten.
Wenige Kilometer von Sarajevo entfernt, in der Serbenhochburg Pale, will man in der Polizeistation von Prostitution nichts wissen. „Hier gibt es so etwas nicht mehr“, sagt ein EU-Beamter. „Die Kriminalität in diesem Sektor ist rückläufig.“
Da kann Bozo nur lachen. Der 39 Jahre alte Familienvater aus Pale arbeitet als Übersetzer bei einer Hilfsorganisation. Während des Krieges war er als Polizist eingesetzt und kennt sich in der kleinen Stadt aus, die nach wie vor Zentrum der serbischen Nationalisten und Kriminellen ist. „Die Europäer schauen bloß nicht hin, für die hat der Frauenhandel keine Priorität.“ Nach wie vor würden Frauen aus Rumänien, der Ukraine, Moldavien und Russland durch Bosnien geschleust. „Es stimmt, dass es in Bosnien jetzt weniger Puffs als früher gibt. Aber an den Grenzen gibt es viele Schlupflöcher, das ist ein großes Geschäft. Gut organisierte Banden schleusen die Frauen von Serbien über Bosnien oder Montenegro in die EU.“
Für hohe internationale Diplomaten in Bosnien und Herzegowina ist das Thema unangenehm. Die Presse sollte lieber über die positiven Entwicklungen im Lande berichten, sagt ein führendes Mitglied der EU-Polizei. Aber auch er regt sich auf. Dass die UN-Polizei alle Unterlagen mitgenommen hat, als sie das Land verließ, ist für ihn ein Skandal. „Da arbeitete der Reißwolf, und die wichtigsten Unterlagen wurden in Containern nach New York geschafft. Alle Erkenntnisse nicht nur über den Frauenhandel sind verschwunden. Wir müssen mit viel weniger Personal von vorn anfangen.“ ERICH RATHFELDER