Türkei rüstet sich für Europa

Der türkische Ministerpräsident fordert bei seinem Deutschland-Besuch die Aufhebung der restriktiven rot-grünen Richtlinien beim Rüstungsexport. Die Bundesregierung signalisiert vorsichtige Zustimmung – für die Zukunft und „eine andere Türkei“

aus Berlin JENS KÖNIG

Der türkische Ministerpräsident zeigt sich bei seinem Deutschlandbesuch als ein dankbarer Mann. Das sollte nicht dazu verführen, ihn nicht für clever zu halten. Recep Tayyip Erdogan hat sich beim Bundeskanzler für die deutsche Unterstützung des EU-Beitrittswunsches der Türkei ausdrücklich bedankt – ihn aber gleichzeitig auch in die Pflicht genommen. Er könne „nicht akzeptieren, dass einem Land, das ein Mitglied der EU sein wird und sich auf die Verhandlungen vorbereitet, von anderen EU-Staaten bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern Restriktionen auferlegt werden“, sagte Erdogan in einem Interview mit dem Handelsblatt.

Angesichts „revolutionärer Veränderungen“ in der Türkei wie der Abschaffung der Todesstrafe gebe es „keine Notwendigkeit mehr für Beschränkungen“, fügte er hinzu. Erdogan sagte in dem Interview auch ganz offen, woran er dabei denkt: an den Kauf deutscher „Leopard“-Panzer. Dieses Ansinnen ist aus türkischer Sicht verständlich – und pikant. Im Herbst 1999 hatte es wegen einer geplanten Lieferung von „Leopard 2“-Panzern an die Türkei eine schwere rot-grüne Koalitionskrise gegeben.

Außenminister Joschka Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul waren im geheim tagenden Bundesicherheitsrat überstimmt worden. Das Gremium genehmigte die Panzerlieferung „zu Testzwecken“, von einem späteren Geschäft mit 1.000 Panzern war die Rede. Fischer brüllte daraufhin eines der wenigen Male seinen Kanzler an und drohte mit Koalitionsbruch, woraufhin die Rüstungsexportrichtlinien verschärft wurden. Menschenrechte sollten ab jetzt größere Berücksichtigung finden. Das Türkei-Geschäft platzte.

Dass Erdogan jetzt einen erneuten Vorstoß wagt, hat nicht etwa damit zu tun, dass ein neuer Panzerdeal ansteht. Die geschrumpfte Bundeswehr sucht zwar Abnehmer für ihre „Leopard“-Panzer, und die Türkei weiß das. Aber offizielle Anfragen aus Ankara gibt es nicht. Erdogan setzt ein politisches Zeichen. Wenn Berlin der Türkei auf dem Weg nach Europa hilft, so seine Botschaft, dann muss die Hilfe umfassend sein, also auch bei Waffenlieferungen. Die Bundesregierung gibt vorsichtig zu erkennen, dass sie ihre restriktiven Bestimmungen beim Rüstungsexport zu ändern bereit ist – wenn denn die EU Ende 2004 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen sollte. „Wenn sich Realitäten verändern, wird man die Frage (von Panzerlieferungen) unter den veränderten Bedingungen entsprechend zu bewerten haben“, sagte Fischer Anfang der Woche.

Das heißt aber nicht, dass dann jeder Waffenexport genehmigt wird. Ohnehin sei diese Frage „ein Zukunftskapitel“, wie Gert Weisskirchen, Außenpolitik-Experte der SPD-Fraktion, gegenüber der taz betont. „Solange die Türkei nicht volles EU-Mitglied ist, gelten die von Rot-Grün beschlossenen Richtlinien.“ Auch die Grünen verhalten sich zurückhaltend. „Wir müssen erst abwarten, wieweit der Demokratisierungsprozess der Türkei geht, bevor Deutschland seine Rüstungsexportpolitik gegenüber dem Land ändern kann“, sagt Ludger Volmer, außenpolitischer Sprecher der grünen Fraktion, zur taz. Ab dem Moment, an dem die Türkei das „EU-Gütesiegel“ erhalte, sei die Debatte jedoch anders zu führen. „Dann haben wir aber auch den Nachweis“, so Volmer, „dass es sich um eine andere Türkei handelt.“