: Ihr solltet endlich mal an uns Schüler denken!
taz-Sommerschule (5): Ältere Herren berufen sich bei der Neuschreibblockade auf Schüler. In Wahrheit missbrauchen sie uns für eine Kampagne
Die einzigen Bürger in Deutschland, die keine Lobby haben, sollen mal wieder über die Ohren gehauen werden: die Schüler.
Nach der Pisa-Studie galt noch: Wir müssen alles dafür tun, unseren Schüler das Lernen von Sprache zu erleichtern. Nun geht es gerade in die andere Richtung. Schreiben wird wieder komplizierter, weil ältere Herren aus den Medien Lust auf Machtkämpfe mit der Politik haben. Stefan Aust, Mathias Döpfner und ihre journalistischen Schleppenträger kämpfen für „die Rückname (sic!) der bürokratischen Zwangsschreibe“ (Aust). Sie verlangen die Reform der Reform – aus Respekt und Fürsorge für die „nachfolgenden Generationen“. Bloß hat uns, die Schüler, keiner gefragt.
Seit sechs Jahren lernen deutsche, Schweizer und österreichische Kinder nun schon die neue Rechtschreibung. Aber von jetzt an sollen wir wieder die alte Rechtschreibung anwenden. Völlig egal dabei ist, dass die Rechtschreibung doch leichter geworden ist, dass die Schüler schneller und besser lernen und weniger Fehler machen. Ich finde: Die Reform muss nicht zurückgedreht werden, sondern weiter ausgebaut werden.
In wenigen Monaten machen meine Ex-Mitschüler Abi. Was soll eigentlich diese nachfolgende Abiturientengeneration von der Debatte halten? Sie wird, egal, was letztlich entschieden wird, verwirrt in den Klausuren sitzen. Geht es nach ßpiegel und ßpringer, müssen sie vor dem Abi ein zweites Mal umlernen.
Am standhaftesten kämpft der ältere, konservative Teil unserer Gesellschaft für die Rücknahme von Neuschreib. Die Alten haben keine Lust umzulernen – das zeigt eine Stern-Umfrage. Die größte Mehrheit für einen Roll-back der Rechtschreibreform findet sich bei den 45- bis 59-Jährigen (59 Prozent), bei den über 59-Jährigen sind es sogar 64 Prozent. Im Gegensatz dazu sind die unter 30-Jährigen mit 50 Prozent für die Beibehaltung der Reform. Nur weil in Deutschland zu wenig junge Menschen leben, können die Gegner der neuen Rechtschreibung von einer Mehrheit sprechen. Sieht aus wie ein Konflikt mit der „nachfolgenden Generation“.
Die ganze Diskussion zeigt, was es in der Politik nicht gibt: Verlässlichkeit. Wer seit Jahren schon die Politikverdrossenheit der Jugendlichen geißelt, sollte ihnen so ein Schauspiel nicht bieten. Wenn es Zeitungen, die nicht demokratisch legitimiert sind, gelingt, eine Reform zu sabotieren, dann könnte manch Neuwähler auf dumme Gedanken kommen. Zum Beispiel den, dass es keinen Sinn hat, zu Wahlen zu gehen.
Die Chef-Revolutionäre von Springer und Spiegel wollen die nachfolgenden Generationen retten. Die Wahrheit ist, dass sie die Leidtragenden, die Kinder und Schüler, ihres Reformputsches überhaupt nicht ernst nehmen – sie machen uns zu einem Mittel für ihre Kampagne.
Thomas Steinfeld etwa schreibt in der Süddeutschen: „Die jüngeren aber werden umlernen müssen. Das kann aber nicht so schwierig sein, wie es klingt.“ Daraus lässt sich nur folgern, dass Steinfelds Mitrevoluzzer offenbar nicht schlau genug sind, Neuschreib zu lernen. Schließlich behaupten sie, es wäre für sie partout nicht möglich, die neuen Regeln zu lernen.
Die Erwachsenen können ruhig weiterhin ihre Schreibweise benutzen. Jeder soll schließlich seinen persönlichen Stil pflegen. Die Schüler jedoch sind diejenigen, die noch Diktate und Klausuren schreiben – und für ihre Fehler bestraft werden.
„Nun leiden die Kinder, ja mein Gott“, höhnt Reformgegner und Deutschprofi Wolf Schneider. „Aber man muss vor allem an die 70 Millionen Erwachsenen denken.“ In ihrer Welt spielt die Meinung der Kinder und Jugendlichen keine Rolle. Leider.
FLORIAN HOLLENBACH
Der Autor (20) hat im Juni sein Abitur gemacht. In der taz-Sommerschule gehen AutorInnen der Frage nach, „wohin die Bildungsreformen in Kitas, Schulen und Hochschulen führen“. Manuskripte an cif@taz.de