: Der nüchterne Sohn von Singapurs Übervater
Lee Hsien Loong wird Ministerpräsident in Singapur, wo sein Vater Staatsgründer war und noch immer Politik macht
„Ich weiß, dass manche Singapurer Unbehagen über Lee Hsien Loongs Führungsstil empfinden, sein öffentliches Erscheinen ist das eines nüchternen, kompromisslosen und strengen Ministers.“ Das sagte der gestern von seinem Amt als Singapurs Ministerpräsident zurückgetretene Goh Chok Tong bereits vor einem Jahr. Schon damals hatte er Lee Hsien Loong als seinen Nachfolger angekündigt. Goh, der 14 Jahre Regierungschef war und einen konsultierenden Politikstil pflegte, fügte noch hinzu: „Die Einwohner von Singapur wünschen sich Loong umgänglicher, sie waren halt meinen sanfteren Stil gewöhnt.“
Das klingt zunächst wie Selbstironie. Denn ein „sanfterer Stil“ ist sicherlich das Letzte, womit der autoritär regierte südostasiatische Stadtstaat assoziiert wird. Öffentliche Kritik an Parteifreunden oder der politischen Führung sind in Singapur tabu, die Medien sind domestiziert. Doch auch politische Analysten sehen in dem scheidenden Ministerpräsidenten den Repräsentanten eines liberaler gesinnten Flügels der regierenden übermächtigen „People’s Action Party“, während der neue Lee als ähnlich strikt und konservativ wie sein Vater gesehen wird.
Mit der unspektakulären Amtsübergabe am morgigen Donnerstag bleibt die Macht sozusagen in der Familie: Lee Hsien Loong ist der älteste Sohn von Lee Kuan Yew, Singapurs Gründungsvater und allererstem Premier. „Er übernimmt nicht als mein Sohn, und ich habe ihn auch nicht ausgesucht“, sagte Lee senior vergangenes Jahr zu seinem 80. Geburtstag.
Lee Hsien Loong studierte an den Universitäten von Cambridge und Harvard, schloss mit Diplomen in Mathematik und Computerwissenschaften ab. Der heute 52-Jährige wurde zunächst in Singapurs Armee Brigadegeneral, bevor er 1984 in die Politik ging. Bereits im Alter von 38 Jahren wurde er zum stellvertretenden Ministerpräsidenten.
Der als sachlich bekannte Finanzexperte wird sich auch weiterhin auf wirtschaftliche und soziale Fragen im Stadtstaat konzentrieren, der sich trotz Krisenzeiten wie beim Ausbruch der Lungenkrankheit Sars 2003 weiterhin als einer der reichsten in der Region Asien-Pazifik behauptet hat.
Lee junior ist jedoch keiner, der dem Volk nur zuckersüße Pillen verabreicht: Er warnt vor der weiterhin hohen Arbeitslosigkeit und mahnt an, dass Singapur sich neue Fähigkeiten aneignen muss, um im Wettbewerb zu bestehen. Ob es mehr politische Freiheiten geben wird, lässt er offen. Auf die Frage eines Reporters, ob sich die politische Landschaft Singapurs verändern würde, sagte Lee Junior immerhin einst: „Sie wird sich verändern. Neue Generationen müssen neue politische Führer hervorbringen und neue Stile entwickeln.“ Wie das passieren könnte, weiß heute noch niemand, wohl auch Lee selbst nicht. Obwohl er als unnachgiebig gilt, wird ihm nachgesagt, dass er zumindest Singapurs Image als „Aufpasserstaat“ loswerden will. NICOLA GLASS