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Archiv-Artikel

Und raus bist du

Liebe deine Schamgrenze wie dich selbst: She She Pop improvisieren mit „What’s wrong?“ routiniert im Podewil

Bekenntnisdrang. Selbstanklage. Gewissensprüfung. Wo befinden wir uns? In einer katholischen Beichte? In einer Talkshow nach 23 Uhr? „Julia, deinem Freund fallen die Zähne aus, wie fühlst du dich?“ Nein, diese ganz persönliche Art, in Wunden zu bohren, von denen der Verletzte bisher vielleicht nicht einmal ahnte, dass er an ihnen litt, das können wir auch, behauptet die Performance-Gruppe She She Pop in ihrem neusten Stück „What’s wrong?“.

Seit zehn Jahren schon üben sie den Zwang zur Intimität. Verlieren dabei nie den Terror aus den Augen, der auf dem Ticket der Aufklärung quer durch die Wohnzimmer rast. Ehrlich sein, authentisch sein, so tarnen sich die Attacken. Diesmal in Form von Party-Spielen, die die sieben Frauen von She She Pop und der eingemeindete Sebastian Bark rund um einen von Süßigkeiten verklebten Tisch aufführen. Der Tisch ist wichtig. Denn unter ihn tauchen sie ab, wenn es reicht mit dem Stellungbeziehen.

„What’s wrong?“ ist eine Performance mit Zuspiel aus dem Publikum. Man unterhält sich gut und bewundert das Improvisationstalent der eingespielten Gruppe, die auf vorgeschlagene Stichworte hin in wenigen Wendungen zum problematischen Knoten vorprescht. Man nimmt die Strecken der Zähigkeit in Kauf, weil man glauben kann, hier die Performer bei ihrer geistigen Arbeit zu erleben. Dichter gewoben aber sind die Passagen, die vorbereitet sind. „Hier sind Leute am Tisch, die noch nie ihren Freund verlassen haben. Das verunsichert mich. Sicher fühle mich in Gegenwart von Leuten, die Rücklagen gebildet haben.“ Wo jedes Anderssein als Angriff auf die eigene Integrität empfunden wird, ist nicht nur die Empfindlichkeit groß, sondern auch der Hang zur Stigmatisierung. So tragen bald alle Klebestreifen auf der Brust, die das Zuordnen und Abstoßen einfacher machen: Bankierskind. Absprecherin. Sportlerin. Lehrerkind. Erzieherisch. Nur, weil das bald so aussieht, als könnte die mit den meisten Klebestreifen auf der Brust in diesem Spiel doch noch etwas gewinnen, ist das ab irgendwann richtig tröstlich.

Aber She She Pop waren schon mal besser. Als die Netze ihrer Selbstbezüglichkeit weitmaschiger gestrickt waren und mehr drin hängen blieb als Trash und Szenekult. Als sie noch zu den Ersten gehörten, die Denksport auf offener Bühne betrieben. Jetzt ist man verwöhnt und will mehr. KATRIN BETTINA MÜLLER

„What’s wrong“, bis 6. September, 21 Uhr, Podewil