: Stinkig, aber ungiftig
Der Geschäftsführer der Sondermülldeponie Ihlenberg wehrt sich gegen den kürzlich beschlossenen Boykottaufruf der Lübecker Bürgerschaft und zieht eine Krebsstudie heran. Demnach gebe es kein stark erhöhtes Risiko, zu erkranken
Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung will die Stadt Lübeck am liebsten eine Mauer um die nahe gelegene Sondermülldeponie Ihlenberg bauen. War es zu DDR-Zeiten gängige Praxis, gegen Devisen West-Müll dort abzuladen, wehrt sich mittlerweile die Bürgerschaft mit Boykottaufrufen gegen das stinkende Denkmal im Nachbarland.
Nach einem taz-Bericht über den städtischen Appell an Firmen, ihren Sondermüll nicht mehr nach Ihlenberg zu bringen, versucht Deponie-Geschäftsführer Gerd-Jürgen Bruckschen nun, die Wogen zu glätten. Einigen Bürgerschaftsabgeordneten sei demnach nicht an einer sachlichen Auseinandersetzung gelegen, sondern vielmehr an einer billigen Panikmache mittels weniger Schlagworte, teilte Bruckschen kürzlich mit.
Im Visier hat er dabei das Fraktionsmitglied der Grünen und Mitglied im Entsorgungsausschuss, Günter Wosnitza, der den Boykottappell der Bürgerschaft lancierte. Weil Wosnitza der Aufsichtsratsvorsitzende der Lübecker Stadtreinigung sei, liege es doch in seinem Verantwortungsbereich, Sondermüll-Lieferungen nach Ihlenberg zu verhindern, sagt Bruckschen. Bisher ist das aber nicht der Fall. Nach Angaben des Pressesprechers der Stadt Lübeck lädt die Stadtreinigung ihren Müll auf der Deponie ab – und das trotz des Aufrufes der Bürgerschaft an die Unternehmen.
Auch gegen die von Deponiekritikern angeführte Krebsstudie der Universität Greifswald vom Juli 2008 wehrt sich Bruckschen. „Dabei handelt es sich lediglich um eine Vorstudie, die eine reine statistische Betrachtung enthält“, sagt er. Demnach hatten die Wissenschaftler bei den Deponie-Mitarbeitern zwar ein „moderat erhöhtes Risiko an Krebs zu erkranken“ nachgewiesen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Arbeitsplatz und Krebserkrankung sei jedoch nicht hergestellt worden, betont er.
Kein Wunder, findet Grünen-Politiker Günter Wosnitza. „Die Krebsstudie hat große Lücken“, sagte er bereits Anfang Februar. So seien Personalakten der Jahre 1979 bis 1983 nicht auffindbar. Außerdem hätten viele ehemalige Mitarbeiter ihre Erkrankungen nicht an die Berufsgenossenschaft gemeldet. „Seltsamerweise gab es keine Beschwerden der Hinterbliebenen“, sagte Wosnitza, der hinter der Fassade der Deponie „kriminelle Machenschaften“ vermutet.
Ob der von der Bürgerschaft beschlossene Boykottaufruf überhaupt Wirkung zeigen wird, ist fraglich. Umweltsenator Thorsten Geißler (CDU) zufolge ist die Lagerung von Sondermüll auf der Deponie Ihlenberg für Lübecker Firmen immer noch am wirtschaftlichsten.UTA GENSICHEN