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Archiv-Artikel

Liberias Jahr der Hoffnung

Zwölf Monate nach dem Sturz des Diktators Taylor sind Gewehre und Panzerfäuste aus Monrovia verschwunden

AUS MONROVIA HAKEEM JIMO

Wata Modad ist dicker geworden. Das heißt: Es gibt wieder zu Essen in Monrovia. Auf einer Geburtstagsfeier bei den Nachbarn der Hoteliersfrau findet sich alles auf dem Teller, wovon die Gäste vor einem Jahr nur träumen konnten: Fisch, Fleisch, Würstchen – und alles zusammen.

Vor einem Jahr war Liberias Hauptstadt Kriegszone. Als die Rebellen, die für den Sturz des damaligen Präsidenten Charles Taylor kämpften, das Stadtzentrum bombardierten, suchten die Menschen tagelang Schutz hinter den dicken Mauern von Wata Modads Hotel. Heute laufen Menschen bis spät nachts unbekümmert durch die Straßen. Überall spielen wieder kleine Kinder – vor einem Jahr waren keine mehr zu sehen. Sämtliche Waffen sind aus dem Stadtbild verschwunden – selbst die liberianische Polizei trägt keine. Nur die UN-Blauhelme und die internationale Polizei sind bewaffnet.

Auch das Leben der Hotelbesitzerin Wata Modad hat sich verändert. „Ich habe keine Angst, dass das Land wieder zurück in einen Bürgerkrieg schlittert“, sagt sie. „Die Menschen wollen absolut keinen Krieg mehr.“ Das sind Sätze, wie sie ein Jahr nach Charles Taylors Sturz überall in Liberia zu hören sind: „Wir sind müde vom Krieg.“ „Wir wollen etwas aufbauen – für das Alter oder für unsere Kinder.“

Die Alltagssorgen drehen sich nicht mehr um das kurzfristige Überleben. Man zerbricht sich nicht mehr so sehr den Kopf darüber, wo bezahlbare Lebensmittel zu finden sind oder ob bewaffnete Kämpfer irgendeiner Miliz auf ihren Raubzügen bei einem zu Hause vorbeikommen könnten. Wata, die ihre meiste Zeit für eine von ihr gegründete Hilfsorganisation für Frauen und Kinder in den ländlichen Gebieten widmet, stellt sich andere Fragen: Wie kann sie den Menschen bei einem Neuanfang helfen? Die Hotelbesitzerin träumt von Kooperativen, mit gemeinsamem Transport und Verkauf der Ernten in der Stadt, und Schulen für Kinder. Aber schon jetzt hat sie keine Geduld mehr mit der amtierenden Interimsregierung von Gyude Bryant, die nach dem Sturz Taylors die Macht in Liberia übernahm. „Die Regierung um Gyude Bryant und die meisten hochrangigen Beamten haben nichts anderes im Sinn als dieselbe Diebestour, die zuvor schon zu Frust und letztlich zu diesem Bürgerkrieg führte“, sagt Wata Modad. Monrovias Zeitungen bringen lauter Skandalgeschichten: fiktive Reisekostenabrechnungen hoher Funktionäre, monströser Villenbau nach wenigen Wochen im Amt, fette Cherokee-Geländewagen für Regierungsmitarbeiter.

Auf Monrovias Straßen ist, anders als vor einem Jahr, alles zu haben. Die Schubkarre dient als multifunktionaler Verkaufsstand: Supermarkt, Fotokopierer mit Batterie, Musikanlage zum Verkauf von Kassetten. Ein Verkäufer hat eine Packung Cornflakes in der Hand. Er verkauft sie zum halben Preis im Vergleich zu den klimatisierten Supermärkten der Libanesen. Auch die sind wieder da und treiben das Geschäftsleben voran, als hätte es nie einen Krieg gegeben. Die Regale in ihren Supermärkten stehen voll mit Waren aus Amerika und Europa. Auch Apotheken sind gut bestückt.

Aber für die meisten Liberianer bleiben all diese Güter unerschwinglich. Was sie interessiert, ist der Preis des Grundnahrungsmittels Nummer eins in Liberia: Reis. Vor einem Jahr gab es in der Hauptstadt keinen Reis mehr, es grassierte Hunger. Die Felder im Landesinneren konnten nicht bestellt oder abgeerntet werden, das Stadtzentrum war eingekesselt, die Importe stockten. Liberias Bürger sprachen von den kleinen weißen Diamanten, wenn sie Reis meinten. Heute ist der Preis für Reis fast wieder auf Vorkriegsniveau gesunken. Aber das Problem ist Geld. Es gibt kaum Arbeitsplätze in Liberia.

Die UNO-Friedensmission kann die Arbeitslosigkeit mit dem Bedarf an Fahrern, Haushaltshilfen und Lagerarbeitern auch nicht nachhaltig verringern. Die Hotelbesitzerin Wata Modad sagt, was viele Liberianer denken: „Die UNO-Friedensmission hat uns Frieden gebracht. Das ist gut. Aber es muss mehr passieren, als das hier tausende brandneue Geländewagen mit UN-Aufschrift herumfahren. Wir brauchen Jobs, sonst kippt die Hoffnungsstimmung.“

Die Monate vor Taylors Abtritt sehen viele Liberianer als die schlimmsten in der 15-jährigen Bürgerkriegsgeschichte ihres Landes. Die drei Rebellenangriffe auf Monrovia im Juni, Juli und August 2003 heißen im Volksmund „Weltkrieg eins, zwei und drei“. Das Zentrum Monrovias quoll über vor Flüchtlingen – allein im Fußballstadion hausten über 50.000 Menschen. Ein Jahr danach gibt es kein offizielles Vertriebenen-Camp mehr im Zentrum Monrovias. Die Flüchtlinge wurden in UN-Lager außerhalb der Stadt umgesiedelt, damit in Monrovia Schulen und Büros wieder öffnen können.

Trotzdem drängen sich weiter viele Menschen in den Straßen von Monrovia, die aus dem Landesinneren in die Hauptstadt gezogen sind. Noch ist die Rückkehr in die Dörfer schwierig. Und noch immer leben überall in Westafrika hunderttausende Liberianer in Flüchtlingslagern. Die neue Regierung und die UN-Mission haben es mit der Repatriierung nicht eilig. Auf dem Land ist sämtliche Infrastruktur zerstört.

Auch in Monrovia beginnen die Aufbau- und Aufräumarbeiten von Privatpersonen nur sehr langsam. Einige Hausbesitzer haben begonnen, ihre Gebäude zu streichen. Aber viele Häuser stehen weiter ausgebrannt da, die Mauern von Kugeleinschlägen gezeichnet. Im jüngsten „Index zur menschlichen Entwicklung“ des UN-Entwicklungsprogramms UNDP belegt Liberias Nachbarland Sierra Leone, das einen kürzeren Bürgerkrieg durchmachte als Liberia, den letzten Rang. Liberia ist in der Rangliste nicht einmal aufgeführt.