Rund um die Welt und durch die Galaxie

Das Dancefloor-Kapital ist böse, aber nicht allmächtig: Der japanische Zeichentrickstar Leiji Matsumoto hat mit Animefilm „Interstella 5555“ ein buntes Science-Fiction-Märchen über die Kulturindustrie geschaffen. Das französische House-Duo Daft Punk liefert den Soundtrack

Die Vorstellungen, die der japanische Zeichner Leiji Matsumoto von der Arbeit des Künstlers hat, sind nicht eben zeitgemäß. Musiker hält er für Magier, Ideen erscheinen ihm als „Licht im Kopf“. Dazu lächelt der 65-jährige Matsumoto, der in Asien mit Zeichentrickserien wie „Captain Future“ oder „Space Battleship Yamato“ seit den Siebzigerjahren als eine Art asiatischer Walt Disney gilt, im Interviewvorspann zu „Interstella 5555“ und wackelt freundlich mit seinem altersgrau gewordenen Pilzkopf. Mehr zu sagen gibt es nicht: Schon nach den paar Statements über das Leben am Schreibtisch driftet der Film durch Nebelsphären und gleitet in Matsumotos regenbogenkoloriertes Science-Fiction-Gesamtkunstwerk über, aus dem man am Ende wie ein überreichlich zu Weihnachten beschenktes Kind zurück in den Kinosessel plumpst – den magischen Beat von Daft Punk für Stunden im Ohr, das Licht ungezählter Discokugeln noch im Kopf.

Was ist geschehen? Irgendwo im Weltall tritt eine Alien-Band auf und spielt Daft Punks „One More Time“ zur Freude der vielen anderen Galaxianer, als ein schwarz vermummtes Kommando von der Erde die Musiker entführt und in den Laboratorien eines in die Jahre gekommenen Schallplattenkonzernbosses zu willigen Popsklaven umpolt. Statt fein in Pastelltönen gewebter Elfengewänder müssen sie als „Crescendolls“ fortan Sonnenbrillen und Schlaghosen tragen, statt Götterfunkenklängen gibt es Futter für die Charts. Was vorher der Sound war, zu dem auf fernen Planeten recht unschuldig gerockt wurde, liefert nun die Kulturindustrie die Hits. Schnell setzt sich die Tanzmusik der Aliens weltweit durch, und die Band wird mit Grammys und Video-Awards überhäuft. Ein Space-Commander, der seine Musikerfreunde aus den Klauen des Dancefloor-Kapitals retten will, muss für seinen Mut mit dem Leben bezahlen: Er wird von der Plattenmafia erschossen.

Doch in diesem Augenblick, als der Geist des Toten sich in einen glitzernden Astralschweif auflöst, wird der Band bewusst, dass sie dem Kommerz in die Falle gegangen ist. Sie flieht aufs Land und findet die Burg, von der aus der Labelchef nach der Weltherrschaft strebt: Mozart, Elvis, Beatles, Michael Jackson – sie alle waren Marionetten des finsteren Imperators.

Jetzt aber wird er zum Opfer seiner eigenen Geschöpfe, überhaupt befreit sein Untergang auch die restliche Menschheit von den Zwängen einer rein am Gewinn orientierten Popkultur. Die Aliens jedenfalls erhalten zum Dank ein Raumschiff, das sie zurück auf ihren Planeten bringt, damit sie dort bis in alle Ewigkeit „One More Time“ singen: endlich wieder unentfremdet.

So unverschämt naiv wie in „Interstella 5555“ ist das Märchen von der guten Popkultur, die gegen böse Unterhaltungsmächte kämpft, selten erzählt worden. Nachdem das französische Duo Daft Punk immer wieder als Clubvariante der Sex Pistols bezeichnet wurde, ist der im Kindchenschemastil gestaltete einstündige Zeichentrickclip in der Regie von Kazuhisa Takenouchi ihr Kommentar zum „Rock-’n’-Roll-Swindle“. Vor allem zeigt sich in der bis zum Kitsch ins Positive gewendeten Utopie authentischer Musikproduktion der french touch aus Ironie und Übertreibung.

Entgegen ihrer rührseligen Kritik an den alles verschlingenden Interessen der Wirtschaft sind Daft Punk ja selbst ein ganz und gar durchgestaltetes Produkt. Ihre Roboteranzüge sind längst zu Markenzeichen geworden. Die Übersetzung ihrer „Discovery“-Songs von 2000 in ein spielfilmlanges Zeichentrickmusical gehört so auch zum Marketing, das die mittlerweile nicht mehr ganz taufrische CD-Veröffentlichung zumindest in Frankreich zurück in die Charts befördern dürfte.

Man muss für „Interstella 5555“ also kein Freund von Matsumotos bubblegumbunten Comic-Welten sein oder gar an den Sieg des Guten im Musikgeschäft glauben. Aber es hilft, wenn man sich über den zur Idylle aus Techno und Spirit mutierten Pop-Betrieb amüsieren will.

HARALD FRICKE

„Interstella 5555“. Regie: Kazuhisa Tekenouchi. Animationen: Leiji Matsumoto. Musik: Daft Punk. Japan/Frankreich 2003, 67 Min.