: „Keine neue regierung ohne uns“
Grünen-landeschef Till Heyer-Stuffer bleibt trotz des stimmungshochs für die Grünen noch auf dem teppich der tatsachen. Doch seine partei sieht er 2006 wieder im senat regieren. Dem volksbegehren zur abwahl des rot-roten senats gibt er keine chance
INTERVIEW STEFAN ALBERTI
taz: Die Grünen liegen in umfragen bei 21 prozent. Können sie noch ruhig schlafen?
Till Heyer-Stuffer: Normalerweise ja.
Aber je höher es raufgeht, desto tiefer kann man fallen. Dann heißt es, der Heyer-Stuffer hat’s vergeigt.
Die umfragewerte haben sich ja in dem letzten halben jahr so stark nach oben verändert – das müsste ich mir dann auch ans revers heften. Aber im ernst: da kommen uns sicher die bundesstimmung zugute und ein guter europawahlkampf. Außerdem sind wir von den oppositionsparteien am sichtbarsten, gerade in den fragen von Tempodrom und umsetzung von Hartz IV – aber eben nicht in einer fundamentalopposition. Ich weiß auch, dass wahlen erst am wahltag entschieden werden. Deshalb warne ich vor übertriebener euphorie.
Sind die 21 prozent ein realistisches wahlergebnis?
Ja, aber wir sollten das nächste jahr abwarten. Wenn es dann immer noch so aussieht, können wir dann davon ausgehen, dass das eine realistische größe ist. Aber eins ist bereits jetzt klar: ohne uns wird die nächste regierung nicht gebildet.
Ihre fraktion geht heute in klausur – in die letzte vor der nächsten abgeordnetenhauswahl? Oder geben Sie dem volksbegehren keine chance?
Ich glaube nicht, dass das volksbegehren zu vorgezogenen wahlen führt. Vergleichen Sie das doch mal mit dem volksbegehren 2001: da kamen schon in den ersten zwei wochen 70.000 unterschriften zusammen. Trotzdem dient auch die klausurtagung jetzt schon dazu, grundsteine für das wahljahr zu legen.
Jüngere grüne haben das papier „Links neu“ vorgelegt.
Was daran links sein soll, muss noch diskutiert werden. Im übrigen glaube ich nicht, dass es die eine definition von links gibt.
Wie lautet ihre?
Links kann für mich nur heißen, dass der begriff der gerechtigkeit dabei eine ganz zentrale rolle spielt, und zwar nicht nur die klassische soziale gerechtigkeit, sondern auch ökologische gerechtigkeit, gerechtigkeit der verschiedenen herkünfte und der generationen, geschlechter- und bildungsgerechtigkeit und die Frage der umverteilung.
PDS-chef Liebich sagt, die berliner Grünen mühten sich um einen linken anstrich, aber in ihrer bundespartei stünden sie auf verlorenem posten.
Ich seh das nicht so, dass wir wie ein gallisches dorf sind.
Als sie kürzlich eine art sonderparteitag einberufen wollten, waren sie am ende allein.
Da ging es um das zuwanderungsgesetz, und das spielt für Berlin sicherlich noch eine größere rolle als für andere länder.
Fazit: sind die berliner Grünen links?
Nach meiner definition ja.
Und die 21 prozent der wähler? Sind das auch alles linke?
Es sind menschen, die sich für gerechtigkeit einsetzen. Und unser spektrum erweitert sich. Zunehmend sind leute dabei, die nicht aus ursprünglich linken zusammenhängen kommen, die aber eine gewisse verantwortung für diese gesellschaft verspüren. Die sind teilweise auch nicht so von den derzeitigen strukturmaßnahmen von Hartz IV betroffen …
… und können locker 10 Euro praxisgebühr zahlen, die bei der SPD dresche verursacht …
… weil man die leute zu lange glauben ließ, dass man immer weiter verteilen kann. Wir waren immer die partei, die von nachhaltigkeit gesprochen hat.
Wählt die klientel sie nicht bloß, weil sie gesundes essen und keinen atomstrom will?
Das spielt zwar auch eine rolle. Ich glaube aber nicht, dass es eine große gruppe gibt, die gegen atomstrom ist und mit sozialer gerechtigkeit nichts zu tun haben will.
Wenn die Grünen in Berlin links sind, wie kann sich daneben eine linkspartei gründen?
Die frage ist, ob es überhaupt eine partei wird. Protest gleich linke partei ist ein bisschen zu einfach gedacht. In dieser bewegung geht es in Berlin doch vorrangig darum, den senat zu stürzen. Und das reicht meiner meinung nach für eine neue linkspartei nicht aus.