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Archiv-Artikel

Wirtschaft kontrolliert sich selbst

Private prüfstelle soll bilanzbetrug verhindern. Kritik von aktionärsschützern

BERLIN taz ■ Für die 980 börsennotierten aktiengesellschaften in Deutschland soll es schwieriger werden, ihre bilanzen zu manipulieren. Die neue prüfstelle für rechnungslegung beginnt diesen monat, mitarbeiter zu rekrutieren und soll anfang 2005 arbeitsfähig sein. Die gründung der bilanzkontrolle wird jedoch begleitet von kritik der aktionäre. So bemängelt die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), dass zu wenige vertreter der anteilseigner in der neuen institution vertreten seien.

Seit den jahren des börsenbooms um 2000 gab es mehrere spektakuläre fälle von bilanzbetrug. So konnten die unternehmen Enron (USA), Parmalat (Italien) und Infomatec (Deutschland) jahrelang falsche angaben machen oder verluste in ihren zahlen verstecken. Wirtschaftsprüfer setzten teils wissentlich ihre stempel unter die krummen bilanzen. Um hierzulande illegale praktiken zu erschweren und die interessen der aktionäre zu schützen, hat die rot-grüne regierung im frühjahr mit dem bilanzkontrollgesetz die neue prüfstelle ins leben gerufen.

Noch arbeitet sie nicht, doch schon werden bedenken hinsichtlich ihrer funktionsfähigkeit laut. Vertreter der anleger seien in den gremien der prüfstelle unterrepräsentiert, kritisiert Klaus Schneider, vorsitzender der SdK. In der tat sitzt im fünfköpfigen vorstand der prüfstelle nur ein aktionärsschützer. Im ausschuss, der die neuen mitarbeiter auswählt, ebenfalls. Stark vertreten sind demgegenüber vertreter der wirtschaft, die ja kontrolliert werden soll. Auch die nicht immer gut beleumundeten wirtschaftsprüfer haben eine einflussreiche stellung.

Getragen wird die prüfstelle als eingetragener verein von 15 verbänden der wirtschaft und dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Die konstruktion als private kontrolleinrichtung wurde gewählt, weil viele unternehmen eine staatliche aufsicht ablehnen. Rot-grün orientierte sich damit eher am britischen beispiel, weniger am US-amerikanischen. Dort kontrolliert die staatliche SEC die aktiengesellschaften. Im deutschen modell sind die firmen verpflichtet, mit der prüfstelle zu kooperieren. Tun sie das nicht, muss die private aufsicht das verfahren an das bundesamt für finanzdienstleistungsaufsicht (bafin) abgeben. Das amt kann fehler in der firmenbilanz im extremfall nachträglich veröffentlichen und ein mildes ordnungsgeld in höhe von 50.000 euro verhängen.

Bislang hat das gesetz das bundeskabinett und die erste lesung im bundestag durchlaufen. Bis oktober soll das restliche verfahren im bundestag und im bundesrat über die bühne gehen. Die zustimmung des bundesrats mit seiner unionsmehrheit ist allerdings nicht erforderlich.

HANNES KOCH