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Archiv-Artikel

wallraff unter verdacht Auf dem Feld der Wahrscheinlichkeit

Auch nach den neuesten Verlautbarungen der Birthler-Behörde zum „Fall Wallraff“ bewegen wir uns auf dem Feld der Wahrscheinlichkeit, wo Indizien gewertet, Rückschlüsse gezogen, Behauptung und Gegenbehauptung abgewogen werden. Die Stasi-Unterlagen belegen nach Auskunft Marianne Birthlers, dass „nach unserem jetzigen Erkenntnisstand Günther Wallraff in der Rosenholz-Kartei erfasst ist“. Ein Auskunftsbericht der Stasi spricht von seiner Anwerbung. Aber sagen solche Unterlagen immer die Wahrheit? Wie kommt es, dass Wallraff zwölf Jahre nach seiner Parteinahme für Wolf Biermann in einem Statistikbogen noch als zuverlässig eingestuft wird? Fazit: Wir sollten uns mit einem Urteil – noch – zurückzuhalten.

Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER

Gesetzt den Fall, eine Tätigkeit Wallraffs als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) würde über jeden vernünftigen Zweifel als erwiesen gelten, welche Reaktion wäre dann angemessen? Eine Bagatellisierung etwa nach dem Muster: Viele Linke zu Ende der 60er-Jahre hätten zwar die DDR als bürokratisch degeneriert abgelehnt, in ihr aber dennoch – etwa im Kampf gegen alte wie neue Nazis – einen Bündnispartner gesehen? Ausgeschlossen. Zu viele linke Journalisten und Wissenschaftler, die sich belastenden Materials über Nazi-Größen aus der MfS-Kiste bedienten, haben jedes kritische Unterscheidungsvermögen eingebüßt, sind einfach manipuliert worden.

Hier gilt schon immer: Wer mit dem Teufel isst, muss einen langen Löffel haben. Wallraff insbesondere bezog seine politische wie moralische Autorität aus einer unabhängigen, gegenüber der BRD wie der DDR kritischen linken Position. Sie wäre durch eine Tätigkeit fürs MfS, aus welchen „antifaschistischen“ Motiven auch immer, diskreditiert.

In keinem Fall aber müssten wir uns die Haltung des Springer Verlags zu Eigen machen, der Wallraffs gesamte journalistische und politische Arbeit unter das Verdikt „IM“ stellt und ihn dadurch als öffentliche Person vernichten will. Wallraffs journalistische Großtaten wie sein Gastarbeiterreport oder der Bericht über seine Tätigkeit als Bild-Redakteur, sind nach seiner Stellungnahme für die demokratische Opposition in der DDR entstanden. Für ihn gilt wie für jeden, der für das MfS gearbeitet hat, dass bei einem Urteil die ganze öffentliche Biografie in Rechnung zu stellen ist.

All das muss man ins Konditional setzen, von dem zu hoffen ist, dass es nicht zur Wirklichkeitsform werde. Dafür zu sorgen, ist jetzt Wallraffs Aufgabe.