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Archiv-Artikel

DGB: Mitdemonstrieren erlaubt

Treffen der regierungs- und koalitionsspitzen berät über kosmetik für arbeitslosengeld II. Gewerkschaften sichern montagsdemos unterstützung zu, rufen aber nicht dazu auf. Attac will proteste nach westen überschwappen lassen

AUS BERLIN JÜRGEN VOGES

Zumindest die persönliche agenda des bundeskanzlers können die montagsdemonstranten schon bestimmen: als ersten termin nach seinem urlaub hatte Gerhard Schröder gestern abend ein spitzengespräch mit seinen ministern für wirtschaft und finanzen, den partei- und fraktionschefs von SPD und Grünen und seinem kanzleramtschef über die Hartz-IV-reform.

Laut regierungssprecher Béla Anda sollte es um noch offene fragen der zusammenlegung von arbeitslosen- und sozialhilfe gehen. Im vordergrund stünden die anrechnung von ausbildungsversicherungen für kinder und die auszahlung des künftigen arbeitslosengeldes II. Das treffen habe den charakter eines vorklärenden gesprächs, dämpfte Anda allerdings von vornherein die erwartungen. Die entscheidungen würden erst anfang september bei einer kabinettsklausur fallen.

Die montagsdemonstranten bekamen unterdessen kräftig zuspruch aus dem gewerkschaftlichen lager. Die DGB-vizechefin Ursula Engelen-Kefer äußerte die hoffnung, dass die demos „zu deutlichen korrekturen bei Hartz IV führen“. Die politik der bundesregierung gehe „fast nur in richtung sozialabbau, leistungskürzungen und belastung der kleinen leute“ und schaffe zu wenig perspektiven für neue jobs und mehr ausbildung.

Engelen-Kefer erinnerte an die DGB-eigene demo anfang april, bei der 500.000 gewerkschafter gegen die Agenda 2010 protestierten. Allerdings hatte die halbe million gewerkschafter seinerzeit weit weniger resonanz als nunmehr 25.000 ostdeutsche montagsdemonstranten. Bundeskanzler Schröder reiste kurz nach der massendemo gänzlich unbeeindruckt nach Italien, um mit der familie seinen 60. geburtstag zu feiern.

Der DGB als ganzes ruft seine mitglieder allerdings noch nicht zur teilnahme an den montagsdemos auf. Eine solche entscheidung kann ohnehin frühestens auf der ersten bundesvorstandssitzung nach der urlaubszeit anfang September fallen. Man hoffe, dass die proteste ihre ziele erreichten, organisiere aber nicht mit, sagte der sprecher des DGB-bundesvorstandes, Markus Franz. Allerdings sei es regionalen gewerkschaftsgliederungen unbenommen, sich an aktionen zu beteiligen. Der DGB-landesbezirk Berlin-Brandenburg etwa stellte es gestern seinen mitgliedern ausdrücklich frei, sich an den montagsdemos zu beteiligen, „ohne selbst offiziell und formal hierzu aufzurufen“.

Dabei verwies er zudem auf das arbeitnehmerbegehren, mit dem die einzelgewerkschaften gegenwärtig bundesweit in den betrieben unterschriften gegen Agenda 2010 und sozialabbau sammeln. Der sächsische DGB will einer gestern veröffentlichten erklärung zufolge „die regionalen initiativen bei der organisation und durchführung von montagsdemos“ unterstützen, um den druck auf die politik in Berlin zu erhöhen. Der DGB in Sachsen-Anhalt „empfiehlt“ die teilnahme.

Der spontane zulauf zu den montagsdemos hat nicht nur bei dem gewerkschaften den protestplan durcheinander gebracht. Auch Attac, wo man eigentlich einen heißen spätherbst gegen den sozialabbau plante, disponiert mittlerweile um. Zwar bleibe es bei dem aktionsfahrplan für den herbst, der bislang eine eine demonstration am 6. november in Nürnberg und einen dezentralen aktionstag am buß- und bettag, 17. november, vorsehe, sagte gestern Attac-sprecher Pedram Shahyar. Attac wolle sich aber zudem in die aktuellen proteste einbringen und „alles tun, damit die demowelle nach westen überschwappt“.