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Archiv-Artikel

Wippende Schlappohren

Von Anfang an ahnt man, wie der Hase läuft: Aber gerade deshalb gelingt Karin Henkel im wiedereröffneten Deutschen Theater mit „Gefährliche Liebschaften“ eine sehr schnörkellose und stringente Inszenierung, frei von erwartbar frivolem Spiel

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Vom dummen Häschen zum geilen Rammler ist es nur ein winziger Hüpfer in Karin Henkels Inszenierung der „Gefährlichen Liebschaften.“ Mit dem zynischen Spiel der Marquise de Merteuil und des Vicomte de Valmont, die nichts so sehr berührt wie die Scham, das Leiden und die Verletzungen der erniedrigten Frauen, die Valmonts Verführungskünsten erlagen, wollte das Deutsche Theater seinen Wiedereinzug ins frisch renovierte Haus feiern. Die Buhs, die am Abend der Premiere die Schauspieler und die Regisseurin trafen, trübten indes, was als Triumph des Theaters gedacht war.

Constanze Becker und Wolfram Koch spielen das teuflische Paar, das um Boshaftigkeit wetteifert. Dachte man an den so alerten Jago, einen anderen Intriganten von Wolfram Koch, der sich das Publikum stets zum Komplizen seiner gemeinen Schachzüge zu machen wusste, freute man sich schon vorneweg auf seinen Valmont, der den Widerstand auch der intelligentesten Frauen an die Wand quatscht und seine körperlichen Begierden stets durch geistige Wendigkeit überblendet. Und Constanze Becker hat schon, zum Beispiel in der Orestie, gegen das Unrecht eines ganzen Götterhimmels so starke Rächerinnen hingelegt, dass man sie gerne als die Marquise sehen wollte, die hinter jedem Plan x noch einen Plan y hat und ihren Partnern immer um einen Zug voraus ist.

Intrigenspiel

Karin Henkel und ihr Kostümbildner Klaus Bruns stecken die Merteuil und den Valmont jedoch von Anfang an in große, graue Hasenkostüme und lassen sie, mit wippendem Hasenschwanz, wackelnden Ohren, baumelnden Brüsten und baumelndem Penis, erst einmal rammeln, was das Zeug hält, und als grobe Karikaturen allen Begehrens erscheinen.

Alle Raffinesse, alles Verführerische und damit auch alles Ambivalente dieser beiden boshaften Figuren ist ihnen damit von Anfang an ausgetrieben. Die Hässlichkeit ihres Intrigenspiels wird von Beginn an ausgestellt, und rätselhaft bleibt nur, warum ihre Opfer, Madame de Volanges und ihre Tochter Cécile und die Präsidentin de Tourvel, überhaupt auf ihre durchsichtigen Manöver und Valmonts schmierige Annäherungen hereinfallen.

So ist der Blick, den die Regisseurin auf das Stück wirft, kalt: Er lässt nicht die Entzündung des Eros an der Sprache gelten. Er erzählt wenig über die Kunst der Verführung als einer reichen Kultur der Codes und der Kulissen, die um die Theaterhaftigkeit der Inszenierung des eigenen Lebens weiß, und lässt stattdessen das blanke Gerüst der Gewalt in Valmonts Attacken sehen. Und schon gar nicht gesteht die Regisseurin den beiden Libertins etwas von der politischen Widerständigkeit der Libertinage zu, die den vorrevolutionären Briefroman von Choderlos de Laclos aus dem 18. Jahrhundert für spätere Bearbeitungen von Heiner Müller oder den Filmregisseur Stephen Frears so interessant machte. Dass Karin Henkel diesen historischen und literaturgeschichtlichen Echoraum so wenig nutzte, nahmen ihr die Buhrufer wohl am meisten übel.

Was ihr aber gelingt, ist eine sehr schnörkellose und stringente Inszenierung. Die meiste Zeit befinden sich alle fünf Darsteller und ein junger Musiker auf der Vorderbühne um einen großen Tisch und tauschen nur dialogbedingt die Plätze. Einer Leseprobe oder auch einer Gerichtsverhandlung gleicht dieses nüchterne Setting, das aber den Briefen, die teilweise direkt ins Mikrofon gelesen werden, genau zuhören lässt. Auch Céciles Vergewaltigung und die Verführung der Präsidentin finden an diesem Tisch statt, stets beobachtet von der Marquise de Merteuil, die in ihrem großen Hasenkostüm lässig zurückgelehnt am Tisch sitzt und raucht: Als ob hier die Tiere den Menschen im Laborversuch beobachten.

Machtspiel

Später öffnet sich hinter der Vorderbühne die Wand zum runden und weiten Raum der Drehbühne, die aber diesmal nur ein kreisendes Gefängnis für die Opfer des Paares ist. Nach und nach werden sie in dessen Leere entsorgt, während das Paar vorne zusammenrückt.

„Es geht gar nicht um Sex, sondern um Macht, um perfide Spiele mit den Gefühlen von Menschen bis hin zur gegenseitigen Zerstörung“, sagte Wolfram Koch vor der Premiere über seine Rolle. Es gibt in dieser Inszenierung keine Beschönigung von Gewalt, Missbrauch, Verrat und Erniedrigung. Das aber eben ist der Inszenierung anzurechnen, kein frivoles Spiel mit diesen Szenen zu betreiben.

Dies sorgt allerdings für eine relativ große Überraschungslosigkeit im Verlauf. Mit der einen großen Ausnahme des Endes: Dann nämlich, wenn das ganze Spiel, zu dem die Merteuil den Vicomte aufgehetzt hat, doch plötzlich in einem anderen Licht erscheint. Glaubte er sich bis dahin ihr Werkzeug, sieht er sich nun als ihr Opfer. Der vermeintliche Wettbewerb in Gefühlskälte entpuppt sich zuletzt als ihre Rache an seinem Handeln und an einer frauenverachtenden Kultur. Sie inszeniert ein Lehrstück, um ihn zuletzt genau so leiden zu lassen, wie er leiden ließ.

Weitere Termin: 7., 8., 11. und 13. März