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Archiv-Artikel

KITA UND KZ – UM ZU SPAREN, IST KEIN VERGLEICH ABWEGIG GENUG Gegen das kitschige Berlin-Gefühl

Dass der Berliner Finanzsenator zu Nazi-Vokabular greift, um so etwas scheinbar Banales wie gestiegene Kita-Preise zu verteidigen, ist nur auf den ersten Blick der Blackout eines verrückten Politikers. Der SPD-Mann Thilo Sarrazin ist alles andere als geistig verwirrt, er ist – wie man in Vorstandsetagen raunen würde – ein eiskalter Sanierer. Er will den Haushalt der Hauptstadt sanieren. „Sparen, bis es quietscht“, lautet die Kurzformel des Regierenden Bürgermeisters, und die dazugehörige PR-Methode ist die der brutalst möglichen Übertreibung. Daher war es zwar ekelhaft, aber nicht sehr erstaunlich, dass Sarrazin den Kritikern der Gebührenerhöhung entgegenhielt, sie sollten sich mal nicht so haben, schließlich würden die Kinder ja nicht ins KZ gesteckt. Hinterher fiel ihm zu seiner Entgleisung – zunächst – nur ein: Er habe halt plastisch formulieren wollen.

Aus Sarrazins Logik ist die semantische Annäherung von Kita und KZ also nur eine weitere Formel, um Politik zu verkaufen. Der Finanzsenator hat schließlich seinen eigenen Beamten schon einmal vorgeworfen, sie röchen nicht gut, und den argentinischen Pleite-Haushalt im Vergleich zu Berlin einen Ausbund von Seriosität genannt.

Die Urberliner haben über Sarrazin schon lange vor Wut geschäumt – weil er Geldverjubeln stets als ihre genetische Grunddisposition hinstellte. Nun hat er es sich auch mit den Neu-und-noch-nicht-ganz-Berlinern verscherzt. Denn die Erhöhung der Kita-Gebühren treibt die Gutverdiener in private Einrichtungen und entmischt das bisherige System. Und sie erbost die Betroffenen, weil es keinerlei Gegenleistung gibt.

Sarrazin trifft zugleich eine empfindliche Stelle, weil er das etwas kitschige Berlin-Gefühl der Zugereisten strapaziert. Er attackiert alles, was in dieser Stadt irgendwie anders und besser war als im Rest der Republik. Diese Klientel duldet keine augenzwinkernden Nazi-Vergleiche. Sie sieht es als Affront gegen die Gleichberechtigung an, Familien die Betreuungsmöglichkeiten zu verteuern. Und sie weiß: Diese Gebührenerhöhung nutzt noch nicht mal dem Haushalt. CHRISTIAN FÜLLER