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Archiv-Artikel

Gedenken an die Kapitulation

Aus Anlass des 59. Jahrestages der Kapitulation Japans pilgern Tausende zum Tokioter Yasukuni-Schrein. Dort wird gefallener Soldaten und hingerichteter Generäle gedacht

TOKIO taz ■ Der Kaiser spricht über Lautsprecher: „Die Ereignisse haben sich nicht zugunsten Japans entwickelt.“ Es ist die Radioansprache von Kaiser Hirohito, in der er am 15. August 1945 die Kapitulation Japans erklärte ohne das Wort Kapitulation zu verwenden. 59 Jahre später lauscht eine Gruppe von Veteranen den historischen Worten des letzten göttlichen Kaisers. Sie halten auf dem langen Aufgang zum Yasukuni-Schrein eine private Feier ab. Als die Musik der Nationalhymne einsetzt, schließen die Herren im Frack die Augen. An ihrer Seite steht ein Schintopriester. Auf das weiße Zeltdach trommelt Dauerregen.

Vor den festlich gekleideten Veteranen baut sich einer im T-Shirt auf. Mit zwei Hörgeräten und zwei Fahnen. Die Spruchbänder zwischen den Fahnen, werfen Regierungschef Junichiro Koizumi Duckmäuserei gegenüber dem Ausland vor. China und Korea, die unter Japans Aggressionen schwer gelitten haben, sind ungehalten, wenn japanische Kabinettsmitglieder den Schrein aufsuchen, in dem neben 2,5 Millionen Gefallenen auch ein gutes Dutzend Kriegsverbrecher verehrt werden. Koizumi, ein regelmäßiger Yasukuni-Gänger, hat bisher auf die Provokation verzichtet, seine Aufwartung am symbolträchtigen 15. August zu machen.

Erwartet werden an diesem Sonntag die Minister für Landwirtschaft und Industrie sowie die Vorsitzende der Nationalen Sicherheitskommission. Landwirtschaftminister Kamei sagte, er besuche das Heiligtum als Privatmann und werde die Opfergaben aus eigener Tasche bezahlen.

Ein Gericht hatte zuvor die Pilgerfahrten von Premier Koizumi gerügt. Dieser habe dadurch gegen die in der Verfassung garantierte Trennung von Kirche und Staat verstoßen. Der konservative Regierungschef bekräftigte diese Woche, er wolle an seinen Visiten festhalten.

Die offizielle Argumentation der Schrein besuchenden Politiker lautet: Frieden und Prosperität Japans beruhten auf denen, die ihr Leben im Krieg geopfert hätten. Dabei darf sich jeder Volksvertreter der Unterstützung der mächtigen Hinterbliebenen-Vereinigung sicher sein, der den Yasukuni wertschätzt.

Eine Frau in hochhackigen Sandalen mit Tigerimitat verteilt Pamphlete. „Gegen die Ausgliederung der Kriegsverbrecher aus dem Yasukuni“, steht auf dem Faltblatt. Ob sie kein Verständnis für die Wut habe, die China empfinde, wenn an dieser Stelle auch Generäle geehrt würden, die am Massaker von Nanjing beteiligt waren? 1937 waren in der chinesischen Stadt 42.000 Zivilisten abgeschlachtet worden. Die Frau winkt ihre Begleiter herbei. Die antworten: „Die Chinesen verstehen unsere kulturelle Tradition nicht.“ Dieser entspreche es, alle Toten gleich zu behandeln. Dann entfernt sich das Grüppchen mit dem Namen „Nationale Fortschrittsversammlung“.

Auf den letzten 50 Metern vor dem Hauptportal zum Schrein werden die Stände immer zahlreicher. Mit Megafonen werben vorwiegend Männer für ihre Auslegung der Geschichte. Zu kaufen sind DVDs über Schauplätze, an denen die japanische Armee gekämpft hat: Schanghai, Burma, Nanjing und alle zusammen. Zudem ist auch ein Titel „Japanische Flugzeuge im 2. Weltkrieg“ im Angebot. Zwischendurch bahnen sich kleine Gruppen den Weg durch die Menge: Veteranen in Pilotendress, aber auch schneidige Burschen in schwarzen Anzügen und weißen Sportsocken.

Vom Tonband erklingt Marschmusik. Den Yasukuni-Schrein (wörtlich: „Bring der Nation Frieden“) schützt ein geschwungenes Dach, mit goldenen Verzierungen auf dunklem Holz. Die Gläubigen klatschen vor dem Altar in die Hände, um die Aufmerksamkeit des schwerhörigen Glücksgottes Ebisu zu erlangen. Als Opfer werden Münzen und Noten gereicht. In lange Schlangen stehen Leute an, um in den Schrein zu gelangen.

Gräber der Toten sind hier ebenso wenig zu sehen wie deren Namen. Im Museum nebenan wird erklärt, die Verwandten könnten die Namen in speziellen Büchern nachschlagen. Einer der im Schrein Verehrten, General Iwane Matsui, taucht auf einem Schaubild auf, das mit „Zwischenfall von Nanjing“ überschrieben ist.

In einer nahezu meisterhaften Verengung der Geschichtsschreibung wird erzählt, Matsui hätte die Kaiserliche Armee aufgefordert, militärische Gepflogenheiten zu beachten. Was im Museum nicht nachzulesen ist: Der General wurde wegen seiner Mitverantwortung für ein Blutbad zum Tod verurteilt. Dafür lehrt der Museumstext: „Nachdem China klar besiegt wurde, konnte die Bevölkerung in Frieden weiterleben.“

Im größten Ausstellungssaal wird ein „menschliches Torpedo“ präsentiert. Ein rohrähnliches Gefährt, das im 2. Weltkrieg für Kamikaze-Missionen im Südpazifik eingesetzt wurde. Punkt 12 Uhr läutet ein Gong. Auf einen Schlag sind alle still und neigen den Kopf. Wieder spricht der Kaiser – von einem Tonband. Diesmal der Amtierende.

MARCO KAUFFMANN