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Archiv-Artikel

Umschmeichelter Verräter: Mahlers „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“

Warum sind die autobiografischen Arbeiten von Comicautoren oft so depressiv? Vielleicht, weil das Genre nur solche Zeichner interessiert, die abseits von Superman und Mickymaus ihre Nische suchen? Diese Nische ist bekanntlich klein, aber nicht fein, und von den spärlichen Honoraren kann keiner leben. Dass aber die autobiografischen Comics zu den interessantesten zählen, liegt am Spannungsbogen zwischen der Leidensgeschichte und der grafischen Reduktion, die den Realismus relativiert und so die Erzählung vor banalem Ernst bewahrt. Mahler, bekennender österreichischer Witzbildchenzeichner, deformiert seine Figuren geradezu. Auf Augen verzichtet er, die Körper sind parabolspiegelhaft zugespitzt, entweder lang und dürr oder klein und fett, aus den Gesichtern ragen Pinocchio-Lügennasen heraus. Er selbst tritt als Bohnenstange mit tellergroßen Brillengläsern auf, und auch sonst scheint er im Alltag nicht auf Rosen gebettet zu sein. Denn Mahler macht Comics, und niemand, glauben wir seinen Geschichten, wirklich niemand scheint ihn zu verstehen. Na ja, abgedruckt wurden seine Strips unter anderem in der „FAZ“ und dem „Standard“, Bücher erschienen unter anderem in Kanada und Frankreich. Aber Mahler wurde in Österreich geboren, eine irdische Vorhölle, die es wagt, Mahler mit Förderungen und Ausstellungen zu ehren, deren Gaben er aber wie folgt kommentiert: „Fördern diese Falotten denn jeden Blödsinn?“ Gemeint sind nach Auskunft des Dudens „Gauner“, offenbar konserviert die Alpenrepublik nicht nur einen französisch angereicherten Wortschatz, sondern sie ist auch ein wunderbarer Nährboden für hochbegabte Miesepeter wie etwa Kraus, Jandl oder Bernhard. Zu den Besonderheiten Österreichs gehört allerdings auch ebenjene, ihre Verächter, besonders zu umschmeicheln – die Stadt Wels richtet zurzeit für Mahler eine Ausstellung aus. „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“ lautet der Titel der Ausstellung und des Katalogs. Frau Goldgruber ist Mahlers Finanzbeamtin und als solche natürlich an Kunst interessiert. Schließlich muss sie über die Reduktion des Steuersatzes entscheiden. Nun sehen die Figuren von Mahler den Schlümpfen und Mickymaus einfach nicht ähnlich. Können sie also Comics sein? Ihr Urteil ist eher sibyllinisch als salomonisch: „Na das wird schon irgendwie ‚Kunst‘ sein“. Irgendwie auch eine Entscheidung, aber auf Frau Goldgruber hört halt niemand. Also zetert Mahler weiter, über einen ausgeleierten Kunstdiskurs, Ausstellungskonzepte, Fans, Vernissagenbesucher, Werbeleute, Galeristen, Kulturbeamte und die eigene Lustlosigkeit, sich damit beschäftigen zu müssen. MARTIN ZEYN

Mahler: „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“. Hg. von der Galerie der Stadt Wels. 160 S., 14,90 €, Edition Selene Wien 2003; Ausstellung bis 28. September