: Europa-Kenner auf neuem Vorposten
Der frühere Staatsminister für Menschenrechtsfragen, Mehmet Ali Irtemcelik, wird neuer türkischer Botschafter in Berlin
Die Ernennung von Mehmet Ali Irtemcelik zum neuen Botschafter der Türkei in Berlin ist ein geschickter Schachzug von Ministerpräsident Tayyip Erdogan und Außenminister Abdullah Gül. Irtemcelik ist der richtige Mann, um den positiven Eindruck, den Erdogan in Deutschland hinterlassen hat, weiter zu vertiefen.
Der heute parteilose Mehmet Ali Irtemcelik galt einmal als Kronprinz des Anap-Parteichefs Mesut Yilmaz und als große Hoffnung der proeuropäischen Fraktion im türkischen Establishment. Den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere erlebte der smarte, weltgewandte Irtemcelik auf dem EU-Gipfel in Helsinki 1999. An der Seite des damaligen Premiers Bülent Ecevit in der Debatte um die Anerkennung der Türkei als formaler EU-Beitrittskandidat sprang er immer dann ein, wenn Ecevit nicht mehr weiterwusste. Irtemcelik war dabei so überzeugend, dass die EU die Türkei zum Beitrittskandidaten aufwertete, was die Basis für die aktuelle Diskussion über den Beginn der Aufnahme von Beitrittsgesprächen 2004 bildet.
Zum Lohn für seinen erfolgreichen Auftritt in Helsinki wurde Irtemcelik Staatsminister für Europafragen und Menschenrechte. Doch damit hatte der Jungpolitiker, Irtemcelik war damals 45 Jahre, seinen Zenit erreicht. In den folgenden Monaten wurde er in der Dreiparteienkoalition von Ecevit systematisch aufgerieben. Als Mitglied der kleinsten Koalitionspartei, der Anap, hatte er keine Chance, die Zuständigkeit für Europafragen zu behalten – sowohl Außenminister Ismail Cem als auch die größere, rechtsradikale MHP beanspruchten dieses Feld für sich.
Seine Vorschläge zur Harmonisierung des türkischen mit dem EU-Recht wurden sabotiert, er selbst bald auch förmlich aus dem Prozess Türkei/EU ausgeschlossen. Auch nach seiner Degradierung zum Menschenrechts-Staatsminister ließ die MHP ihn weiter auflaufen. Während Irtemcelik sich als erster Staatsminister mit Menschenrechtsgruppierungen traf, gingen Polizei und Gendarmerie auf Druck der MHP besonders brutal gegen kurdische Demonstranten und Funktionäre der prokurdischen Hadep vor.
Sein Parteichef Mesut Yilmaz opferte Irtemcelik schließlich für einen koalitionsinternen Deal, sodass diesem nicht mehr viel anderes übrig blieb, als im Mai 2000 resigniert zurückzutreten. Schon damals schrieb der Kolumnist Ilnur Cevik, man werde von Irtemcelik sicher noch hören, ein solches politisches Talent verschwindet nicht einfach.
Ein Jahr nach seinem Rücktritt verließ Irtemcelik die Anap und setzte sich damit rechtzeitig von einer Partei ab, die immer tiefer im Korruptionssumpf versackte. Jetzt, ein Jahr vor dem entscheidenden Votum der EU gegenüber der Türkei, ist Irtemcelik zurück auf der Bühne, und zwar an einem für die türkischen EU-Ambitionen zentralen Platz. Gerüchteweise hat er schon länger darauf gewartet, wieder in die aktive Politik zurückkehren zu können, und sich bei Außenminister Gül für den Job in Berlin selbst dezent ins Gespräch gebracht.
Doch die Idee hat der AKP-Führung wohl auch ohne großes Drängen eingeleuchtet. Irtemcelik kennt sich auf der europäischen und amerikanischen Bühne gut aus, er repräsentiert überzeugend den europäischen Teil der Türkei und ist als Parteiloser vor dem Vorwurf geschützt, aus Proporzgründen auf den Posten gesetzt worden zu sein.
JÜRGEN GOTTSCHLICH