: Weckdienst für die Wähler
Grünen-Initiative: Anders als in Hamburg sollen in Bremen die Parteien das Wahlrecht reformieren. Und anders als in Hamburg zeigt die CDU hierzulande wenig Ehrgeiz, zum Kontrahenten zu werden. „Wenig Verständnis für unsre Parteifreunde“
Bremen taz ■ Es geht um Wahlrecht: Auch Bremer sollen künftig ihre Kreuzchen nach Herzenslust panaschieren, also mischen, und kumulieren – das heißt: auf einen Kandidaten zusammenziehen – können. Das fordert Dieter Mützelburg, der Landesvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen. Hauptziel: Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit vertreiben.
Das große Vorbild ist Hamburg. Dort hatte im Juni, parallel zur Europawahl, eine Volksabstimmung stattgefunden. Dabei votierte eine große Mehrheit für den Wahlrechtsentwurf der Volksinitiative „Mehr Bürgerrechte“, nach dem mehrere Stimmen beliebig auf verschiedene Kandidaten und Parteien verteilt werden dürfen. Diesen hat Mützelburg nun auf Bremer Verhältnisse umgeschrieben. Sollte er sich nicht auf parlamentarischem Wege realisieren lassen, werde der Verein „Mehr Demokratie“ auch hier ein Volksbegehren starten, kündigte der Grünen-Politiker an.
Die Chancen der Initiative für ein flexibleres Wahlrecht im Stadtstaat Bremen stehen allerdings gut. Die Hamburger Entscheidung galt vielen Beobachtern als Blamage für die Volksparteien. SPD und CDU hatten einen Gegen-Entwurf ins Rennen geschickt. Eine solche Schlappe will man sich an der Weser offenkundig nicht leisten.
So hat der SPD-Vorsitzende Carsten Sieling schon jetzt weitestgehend Zustimmung signalisiert, obwohl laut Mützelburg noch kein Gesetzesentwurf vorliegt. Gleiches gilt für die Freien Demokraten. Aber auch die CDU zeigt, anders als ihr Hamburger Gegenstück, bislang wenig Ehrgeiz, sich in dieser Frage als großer Gegenspieler zu gerieren: „Wir stehen diesem Vorstoß nicht ablehnend gegenüber“, so Michael Glintenkamp. Der ist persönlicher Referent des Landesvorsitzenden Bernd Neumann. „Das Thema wird noch im September auf der Tagesordnung stehen.“
Nicht in der ersten Sitzung nach der Sommerpause: In der werde die CDU über den Anwärter für den Posten des Wirtschafts-, Häfen- und Kultursenators befinden. Wohl aber in der folgenden. Man habe geschaut „was in Hamburg passiert“ sei – und zwar „mit ehrlich gesagt wenig Verständnis für die Haltung unserer Parteifreunde“. Allerdings halte man die dort ausgegebene Losung „mehr Demokratie“ für ungünstig: „Das klingt ja, als wäre jeder, der Bedenken hat, gegen mehr Demokratie“, so Glintenkamp der taz.
Der Reformvorschlag der Grünen sehe vor, dass Bremen „in ungefähr sieben Wahlkreise“ aufgeteilt wird, so Mützelburg. Deren voraussichtliche Größe: 45-50.000 Stimmberechtigte. Jeder Wähler soll mehrere Stimmen erhalten: Wie viele, das sei noch zu klären. Er habe „an drei bis vier Stimmen gedacht“. Nach wie vor geben soll es Parteienlisten. Aber deren Rangfolge könnten die Wähler in Frage stellen – indem sie ihre Stimmen weiter hinten platzierten Kandidatinnen oder Kandidaten geben. Mützelburg: „Denkbar wäre beispielsweise, ausschließlich Frauen anzukreuzen.“ Die gravierendste Neuerung aber: EinzelbewerberInnen hätten eine Chance. Bislang führt kein Weg an den Parteien vorbei ins Landesparlament. Künftig soll, wer zirka 500 Unterschriften vorweisen kann, antreten dürfen. Um im Wahlkreis zu bestehen, müsste man dort aber „im Normalfall um die 20 Prozent der Voten auf sich ziehen“, führt Mützelburg weiter aus. Auch die Fünfprozent-Hürde solle „nicht angetastet werden.“
Auch dies ist ein Zugeständnis: Die Klausel ist in der Landesverfassung verankert. Um sie zu kippen, bedürfte es einer Zweidrittel-Mehrheit. Das würde das Projekt zum Scheitern verurteilen. Zugleich schützt sie vor einer zu großen Zerfaserung des Parlaments. Mützelburg: „Das ist kein Sonderwahlrecht für Splittergruppen.“ bes