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Archiv-Artikel

Lebhafte Debatten in Bagdad

Auch der zweite Tag der irakischen Nationalkonferenz steht unter dem Bann des Konflikts mit Muktada al-Sadr in Nadschaf. Die Delegierten fordern die Entwaffnung der Miliz und die Räumung der heiligen Stätten. Die Gefechte halten weiter an

AUS BAGDAD INGA ROGG

Der Appell war so leidenschaftlich wie unmissverständlich: „Herr Muktada al-Sadr, räumen Sie die heiligen Stätten!“ Mit dieser Forderung wandte sich die irakische Nationalkonferenz in Bagdad gestern an den schiitischen Demagogen in Nadschaf. Wie schon tags zuvor war der Konflikt mit al-Sadr auch am zweiten Tag das bestimmende Thema der Versammlung, die zusammengetreten ist, um die Mitglieder eines Übergangsparlaments zu bestimmen. In einem dringlichen Appell wandte sich die Nationalkonferenz an den schiitischen Militanten und rief zum Abzug seiner Miliz aus den beiden Moscheen in Nadschaf und im benachbarten Kufa auf.

„Wir fordern von Muktada al-Sadr, dass er aus dem Grabheiligtum abzieht, denn es ist nicht der Besitz einer einzelnen Person“, sagte Hussein al-Sadr. „Es steht keinem Mann zu, die Heiligtümer zu kontrollieren, egal, welchen Rang er hat.“ Von den Konferenzteilnehmern erntete Hussein al-Sadr, ein Onkel des jungen Eiferers, lang anhaltenden Applaus. Zu groß ist die Sorge, dass der Konflikt mit den Milizionären in einem Blutbad enden könnte, nachdem die Interimsregierung in den vergangenen Tagen sogar eine Stürmung der Imam-Ali-Moschee ins Auge gefasst hatte. Dort hält sich der militante Prediger seit Wochen mit seinen Anhänger verschanzt.

„Gestern haben wir uns an die Regierung gewandt, heute wenden wir uns an Muktada“, sagte Hussein al-Sadr. Nach Protesten von zahlreichen Teilnehmern hat die Konferenz trotz der anhaltenden Scharmützel ein Einhalten bei der geplanten Offensive erreicht. Wie ein echtes Parlament forderten die Delegierten die Regierung heraus – und hatten damit Erfolg. Daran haben sie mit dem Aufruf an den jungen al-Sadr angeknüpft.

Per Akklamation und Handheben stimmte die überwältigende Mehrheit der Delegierten für den Vorschlag von Hussein al- Sadr. Darin wird der radikale Geistliche aufgefordert, die beiden heiligen Stätten an die Öffentlichkeit zurückzugeben. Zugleich wird ihm angeboten, dass er seine Miliz in eine politische Partei oder sonstige Organisation umwandeln kann. Im Gegenzug sehe die Regierung von einer Strafverfolgung al-Sadrs und seiner Milizionäre ab, sagte Hussein al-Sadr. Einer kleinen Gruppe von Sadr-Sympathisanten ging das indes nicht weit genug. Lauthals forderten sie die Freilassung von gefangenen Anhängern al-Sadrs. Schließlich gaben sie sich aber mit dem Hinweis zufrieden, man möge es doch dem Prediger selbst überlassen, auf den Appell zu reagieren. Eine Delegation soll nun mit dem Heißsporn Gespräche führen.

Gegenüber dem Fernsehsender al-Arabia hat Muktada al-Sadr erklärt, er sei bereit, die Delegation aus Bagdad zu empfangen. Der Regierung wird das wie ein weiterer Hohn erscheinen, hat sich al-Sadr doch standhaft geweigert, Unterhändler Mowaffak al-Rubaei persönlich zu treffen.

In Teilen der Regierung und beim amerikanischen Militär betrachtet man die Verzögerung der geplanten Offensive mit Skepsis. Dies könnte nur noch mehr Opfer bringen, sagten Kommandeure vor Ort.

Bei Kämpfen auf dem Gelände des Friedhofs, von wo aus Tunnel in die Grabmoschee führen, wurden am Montag drei Marineinfanteristen getötet. Mit Panzern rückten die Amerikaner weiter in die Nähe des heiligen Bezirks vor und ließen damit keinen Zweifel daran, wie ernst die Lage für al-Sadr steht. Gleichzeitig riegelten amerikanische Truppen das Schiitenviertel Medina Sadr in Bagdad ab, von wo sich das Gros der Mahdi-Armee rekrutiert.

Nach dem einmütigen Beschluss zum Konflikt in Nadschaf wandte sich die Konferenz am Nachmittag dem ursprünglichen Vorhaben zu – der Wahl des Übergangsparlaments. Dabei setzte ein intensives Ringen um verschiedene Listen ein, die zur Abstimmung gestellt werden sollen. Für ein paar Stunden waren al-Sadr und Nadschaf beinahe ganz weit weg.