Der große Mumpitz

von STEFAN SCHAAF

Der 11. September war ein Tag emotionaler Extreme. Unwirklich, weil unfassbar wirkten die Fernsehbilder des brennenden World Trade Centers in New York. Kaum begreiflich schien, was dort ablief. Ein Angriff aus dem Nichts: Zwei Flugzeuge in New Yorks höchste Gebäude, dann eines ins Pentagon – wie viele waren noch mit tödlicher Absicht in der Luft? Gerüchte liefen über die Agenturen: Eine Bombe vor dem State Department, ein viertes Flugzeug war unterwegs. Dann stürzten die Türme ein. Wie viel Menschen wohl darin waren? Wer gab die Befehle zu diesen Attacken? Jede Erklärung der Ereignisse kommt uns lückenhaft und konstruiert vor, da es keine Parallelen für die Anschläge des 11. Septembers gibt. Es sei ja alles ganz anders gewesen als von der Bush-Administration und den amerikanischen Behörden behauptet, schreiben diverse Autoren in Büchern, die sich gut verkaufen. Doch ihre Thesen sind höchst fragwürdig. Wir haben einige mit geringem Aufwand überprüft – und konnten sie rasch widerlegen.

„Eine gekaperte Boeing 757 der American Airlines war in die Westfassade des Pentagons gerast und hatte ein riesiges Loch in das aus Beton gebaute Symbol der amerikanischen Militärmacht gerissen.“ So beschrieb die Washington Post am 12. September 2001, dem Tag nach den Anschlägen von New York und Washington, das Attentat auf das US-Verteidigungsministerium (www.washingtonpost.com/ac2/wp-dyn?pagename=article&node=&contentId=A13766-2001Sep11&notFound=true).

Doch es gibt Zweifler. Es sei gar kein Passagierjet ins Pentagon gerast, behauptet etwa der französische Autor Thierry Meysson, und auch in Deutschland wurde vom WDR ein Film gesendet, der die offizielle Version anzweifelt. In „Aktenzeichen 9. 11. ungelöst – Lügen und Wahrheiten zum 11. September 2001“ sprechen Gerhard Wisnewski und Willy Brunner von einer „Märchenstunde im Pentagon“ (Manuskript auf ihrer Homepage www.operation911.de). Das Flugzeug habe sich offenbar in Luft aufgelöst, denn man tue sich schwer, auf den freigegebenen Bildern auf Anhieb identifizierbare Flugzeugtrümmer zu erkennen. Eine Rakete oder ein Marschflugkörper sei eher für den Einschlag verantwortlich.

Tatsächlich gibt es, anders als im Fall des World Trade Centers, bis heute kein deutliches Bild, auf dem man den Jet auf das Pentagon zurasen sieht. Es gibt lediglich Aufnahmen einer in der Nähe installierten Überwachungskamera (0911.site.voila.fr/index3.htm), die auf einem Filmbild schattenhaft das Flugzeug, dann die Explosion und einen Feuerball an der Fassade zeigen. Doch es gab am 11. September eine weltweit verbreitete AP-Meldung, in der deren Reporter Dave Winslow zitiert wird: „Ich sah die Heckflosse eines großen Passagierflugzeuges. Es pflügte direkt in das Pentagon.“ Und es gibt zwei Fotos, auf denen doch Bruchstücke der zerschellten Boeing zu erkennen sind. In einem im August gesendeten Beitrag des Magazins „Panorama“ bestätigt der Fotograf Mark Faram, dass er eines dieser Bilder, das ein zerfetztes Rumpfteil vor dem Pentagon zeigt, (www.whatreallyhappened.com/Pentdebris.jpg) eine Viertelstunde nach dem Anschlag gemacht hat. Faram hat viele Aufträge für das Militär abgewickelt und eine Zeit lang für eine Armeezeitung gearbeitet – das reicht Skeptikern wie Wisnewski bereits, seine Glaubwürdigkeit anzuzweifeln.

Doch es muss ja noch mehr Augenzeugen geben. Die nächstliegende Suche beginnt auf der Internetseite der Washington Post, dem renommierten Hauptstadtblatt, vor dessen Haustür das Attentat geschah. Was schrieb das Blatt denn am 12. September 2001?

„Zeugen in Autos und umliegenden Wohnungen begriffen, dass etwas nicht stimmt, als sie kurz nach 9.30 Uhr einen Passagierjet niedriger als die Baumwipfel über die Interstate 395 heranfliegen sahen. Terrance Kean, 35, der in einem benachbarten 14-stöckigen Gebäude wohnt, hörte laute Düsentriebwerke und schaute aus seinem Fenster. ‚Ich sah diesen sehr, sehr großen Passagierjet‘, sagte der Architekt, der Kisten für seinen Umzug packte. ‚Er pflügte genau in die Seite des Pentagons. Die Nase durchschlug die Fassade mit den Säulen. Und dann war es, als ob er verschwindet, und überall war Feuer und Rauch … Es war irgendwie sehr surreal.‘ “

Eine Beschreibung, die sich mit den veröffentlichten Bildern deckt, auf denen zunächst keine ausgedehnte Beschädigung des Pentagons zu sehen ist, bis dann nach 20 Minuten die Fassade einknickt. Noch eine andere Zeitung zitiert Augenzeugen: In The Pentagram beschreibt der Polier Joe Harrington (www.dcmilitary.com/army/pentagram/6_37/local_news/10380-1.html), der im Pentagon mit Renovierungsarbeiten beschäftigt war, wie „ein Flugzeug der American Airlines in sechs Metern Höhe über den Washington Boulevard flog“ und „wie in einem Hollywood-Film“ in das Gebäude krachte. Noch etwas steht in dem Bericht der Washington Post am Tag nach den Anschlägen: „Später lief eine Kette von 50 FBI-Beamten Schulter an Schulter über den Rasen südlich des Pentagons. Sie sammelten Trümmer auf und steckten sie in braune Säcke. Auf dem Rasen lagen überall Flugzeugbruchstücke, manche davon 1,20 Meter groß.“ Es gibt also Augenzeugen, es gibt Fotos. Und es bliebe eine sehr ungeklärte Frage, falls es nicht die Boeing 757 der American Airlines war, die ins Pentagon krachte: Wo um Himmels willen ist der Jet, der als American Airlines Flug 77 an jenem Morgen in Washington-Dulles startete, mit seinen Passagieren dann hin?

Auch in Shanksville, Pennsylvania, wo United Airlines Flug 93 mit 44 Menschen an Bord am Boden zerschellte, gebe es bis heute „ungeklärte Rätsel“, so Gerhard Wisnewski in seinem WDR-Film und in einem ausführlichen Radio-Interview, das NDR 4 am 8. September mit ihm führte. Es sei sehr fraglich, ob dort wirklich ein Flugzeug abgestürzt sei. Am selben Morgen hatte ihm der Spiegel in seiner Titelgeschichte über die „Konspirationsfanatiker“ des 11. Septembers vorgeworfen, in seinem Film und im Buch in eklatanter Weise falsch zitiert zu haben. Ernie Stull, der Bürgermeister von Shanksville, sagt im Film, es sei an der Absturzstelle kein Flugzeug zu sehen gewesen. „Da war nichts! … Nur dieses Loch.“

Dem Spiegel sagt Stull, seine Aussagen seien offenbar völlig aus dem Zusammenhang gerissen worden: „Natürlich gab es ein Flugzeug, es war nach der Explosion nur nicht viel davon übrig. […] Ich habe doch selbst Trümmerteile gesehen.“

Und auch bei dem zweiten „Kronzeugen“ Wisnewskis geht es nicht mit rechten Dingen zu. Dennis Roddy, der Chefredakteur der Pittsburgh Post-Gazette, wird von Wisnewski mit den Worten zitiert, er habe keine Flugzeugtrümmer erkennen können. Roddy schickte ein Team von Journalisten zur anderthalb Stunden entfernten Absturzstelle. Dort war alles weiträumig abgesperrt, die Behörden seien sehr verschwiegen gewesen. Was das Journalistenteam tatsächlich am folgenden Tag geschrieben hat, ist im World Wide Web noch heute nachzulesen. Unter der Überschrift „Day of Terror“ werden Augenzeugen und Mitarbeiter des Flughafens von Johnstown zitiert, die das Flugzeug sahen, den Absturz hörten oder sich auf eine Notlandung vorbereiteten (www.post-gazette.com/headlines/20010912 crashnat2p2.asp). Vor allem kommt Eric Peterson aus Lambertsville, etwa sechs Kilometer nördlich von Shanksville, zu Wort, der ein Flugzeug in ungewöhnlich niedriger Höhe sah, das hinter einem Hügel verschwand, wobei es sich um sich selbst zu drehen schien. Dann, so sagte er, sah er einen Feuerball, hörte eine Explosion und beobachtete, wie eine pilzförmige Rauchwolke in den Himmel stieg. Peterson fuhr mit seinem Geländewagen zur Absturzstelle und sah dort viele, zum Teil noch brennende Flugzeugbruchstücke, Kleidung, die in den Bäumen hing, aber keine Leichen. „Es gab einen Krater im Boden, in dem es heftig brannte“, sagte Peterson.

Falls Chefredakteur Roddy, wie im Film suggeriert, wirklich Zweifel hatte, dass in Shanksville ein Flugzeug abstürzte, so kann er seine eigene Zeitung nicht gelesen haben. Wisnewski hat jedenfalls, obwohl er für seinen Film nach Shanksville reiste, den banalsten ersten Rechercheschritt – Quellen sichten – unterlassen. Er hätte auch mit dem amtlichen Leichenbeschauer (coroner) von Somerset County, Wallace Miller, sprechen können. Der konnte inzwischen den Angehörigen aller 40 Passagiere von Flug 93 die Überreste und Totenscheine übergeben (www.cbsnews.com/stories/2002/05/23/attack/main509917.shtml). Fazit: Was Wisnewski behauptet – in Shanksville sei kein Flugzeug abgestürzt –, ist schlicht Mumpitz.

Auf Platz 19 der deutschen Amazon-Verkaufsliste findet sich derzeit Andreas von Bülows Abhandlung mit dem Titel „Die CIA und der 11. September“. Von Bülow und auch unser ehemaliger taz-Kollege Mathias Bröckers sind überzeugt, dass die offizielle Version über den Hergang der Anschläge nicht stimmt, dass die US-Regierung etwas zu verbergen hat, und dass die Geheimdienste tief in die Verschwörung verstrickt sind. Der 11. September, ein in Bröckers Worten „von den Geheimdiensten sowie der Militärführung der USA und ihrer Verbündeter zumindest unterstützter Plot“, sei geschehen, um die aggressive Politik der Bush-Administration zur Sicherung des Ölnachschubs durchzusetzen. Die „große Erzählung von Osama und den 19 Räubern“ (Bröckers) sei eine unbelegte Verschwörungstheorie, die Rolle und Identität der Terrorpiloten seien völlig ungeklärt. Die Flugzeuge in New York, so wiederum von Bülow, seien ferngesteuert gewesen. Ein äußerst schwer wiegender Verdacht, der aus verschiedenen Gründen nicht plausibel ist. Vor allem geht er darüber hinweg, dass zwei mittlerweile gefasste Al-Qaida-Führer – Khalid Sheikh Muhammad und Ramzi Binalshibh – dem Londoner Bürochef des arabischen TV-Senders al-Dschasira, Yosri Fouda, vor einem Jahr in Karatschi ausführlich die Rolle des Bin-Laden-Netzwerks am 11. September geschildert haben. Unter dem Titel „Masterminds of Terror. Die Drahtzieher des 11. September berichten“ (auf Deutsch erschienen im Mai 2003) hat Fouda zusammen mit dem Sunday Times-Reporter Nick Fielding die Geschichte des 11. Septembers aufgeschrieben, wie sie ihm von den al-Qaida-Führern geschildert wurde. Das Geld der taz-Leser, die an echter Recherche interessiert sind, ist dafür besser angelegt als für Konspirationstheorien im Gewand des Enthüllungsjournalismus.