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Archiv-Artikel

Hartz IV und die Schüler

Eine Bremerin sieht die Landesverfassung verletzt: Ihre Söhne, sagt sie, würden in der Schule benachteiligt. Die Vermutung ist vielleicht richtig – die Ursache aber liegt in Berlin

VON FELIX ZIMMERMANN

Die Frau fährt schweres Geschütz auf. Zwischen den Zeilen der mehrseitigen Petition, die sie an die bremische Bürgerschaft gerichtet hat, schimmert der Vorwurf Verfassungsbruch nicht nur durch. Durch allerlei rhetorische Fragen und Verweise auf die bremische Landesverfassung wird er vielmehr recht konkret aufgeworfen. Für die Petentin, eine Hartz IV-Klientin, geht es um konkrete Dinge, die den Alltag mit wenig Geld zum Drahtseilakt werden lassen. Und ganz besonders geht es um ihre beiden schulpflichtigen Kinder. Ist es, so fragt sie, überhaupt verfassungskonform, was mit denen geschieht?

Was die Kinder von der Regelleistung – also dem als Arbeitslosengeld II ausbezahlten Betrag – für die Schule bekommen, sei zu wenig. Der Ältere der beiden etwa müsse mit 11,20 Euro im Monat für Fahrtkosten auskommen. Es wundert nicht, dass die Petentin zynisch wird und nur noch eine Möglichkeit sieht, den Schulweg „kostenneutral zu gestalten: Er schwänzt, zeigt sich selber an … und lässt sich durch die Polizei zur Schule befördern“.

Die dabei aufgeworfene Frage erscheint noch dringlicher, wenn es um jenes „Schulbedarfspaket“ genannte Konstrukt geht, das im Koalitionsausschuss der Bundesregierung ausgehandelt wurde: Demnach bekommen Kinder von Hartz IV-Leistungsbeziehern vom 1. August an bis zur zehnten Klasse pro Schuljahr 100 Euro für schulische Zwecke. Die Petentin vermutet, dass „willentlich alle armen Kinder in Bremen vom Erlangen des Abiturs“ ausgeschlossen würden. Und nicht nur die in Bremen, ließe sich ergänzen: Diese Regelung gilt bundesweit.

Liegt da also ein Verstoß gegen die Bremer Landesverfassung vor, die in Artikel 27 das Recht auf Bildung festschreibt? Und wie steht es um Paragraph 4 des Schulgesetzes, wo es doch heißt, die Schule habe allen Kindern zu ermöglichen, dieses Recht auf Bildung zu verwirklichen?

Die Antwort, die die Sozialsenatorin in Bremen am Dienstag auf Nachfrage gab, dürfte die Petentin nicht zufrieden stellen: Das Sozialgesetzbuch sei ein Bundesgesetz, das müsse das Land Bremen ausführen. Die 100 Euro pro Kind pro Schuljahr, die es künftig geben wird, seien schon eine deutliche Verbesserung: Vorher habe es nichts gegeben, der Gesetzgeber sei damit der verstärkten Ansicht gefolgt, dass Kinder und Jugendliche von Hartz IV übermäßig benachteiligt würden. Eine Aufstockung aus kommunalen Mitteln sei prinzipiell möglich, aber in Bremen wegen der Haushaltslage undenkbar.

Der Verfassungsrechtler Ulrich K. Preuß von der Hertie School of Governance in Berlin verweist auf eine der Grundregeln des föderalen Systems: Bundesrecht bricht Landesrecht. Selbst wenn ein Verstoß gegen die Landesverfassung vorliege, seien dem Land die Hände gebunden. Die Petentin müsste sich, um eine Gesetzesänderung zu erreichen, an den Gesetzgeber direkt wenden.

Oder an die CDU im Deutschen Bundestag, denn die, so hieß es gestern im Bundessozialministerium, habe keine Ausdehnung des „Schulbedarfspakets“ über die zehnte Klasse hinaus gewollt.