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Archiv-Artikel

Bedingungen ausgeblendet

Hamburgs erster „Karneval der Kulturen“ gibt sich wohltätig und ist vor allem Kommerz. Eine Alternative: Der „Gegenkarneval“ ohne von Beust und Ethno-Check – Sonnabend auf der MS Stubnitz

von ASTRID KUSSER und CECILIA TORRES

Weiberfastnacht: Frauen stürmen die Rathäuser, schneiden den Männern die Schlipse ab. Entstanden in einer Zeit, in der Frauen keine politischen Rechte hatten, erinnert die Aktion an die Kämpfe der Emanzipation. Am Wochenende feiert Hamburg seinen ersten „Karneval der Kulturen“. Nach Berlin, London und Amsterdam soll auch Hamburg seine Weltoffenheit feiern, so die Veranstalter. „Wir haben Mexikaner auf der Bühne, Tibeter, Russen, Chilenen und Westafrikaner“, schwärmt Organisatorin Sabine Kulau. „Hier leben 300.000 Menschen ohne deutschen Pass“ – das Schreckensszenario rechter Populisten wird als Leistung des weltoffenen Hamburg verbucht.

Die Idee, mit einem „Karneval der Kulturen“ die Stadt Hamburg zu feiern, gefällt auch Schwarz-Schill: die Kulturbehörde gab 20.000 Euro, Ole von Beust wurde Schirmherr. Kulau meint, der Bürgermeister wollte damit alle Einwohner Hamburgs anerkennen, „egal, welche Hautfarbe sie haben“. Kulturen, Nationen, Hautfarben – worum geht‘s denn nun? Kulturelle Differenz wird angerufen, jedoch nicht an kulturellen Praktiken festgemacht. Differenz wird so zur Tatsache erklärt, die Hamburg (heute mal) toleriert. Was keinen Platz hat in diesem Szenario: Hamburg hat eine große migrantische Community, weil deren Mitglieder Strategien gegen prekäre Aufenthaltstitel entwickelt haben.

Das mit der Schirmherrschaft von Beusts war den Mobilen Soundsystems zuviel. Sie veranstalten morgen einen „Gegenkarneval“ mit Reggae und Dancehall auf der MS Stubnitz. Die Hälfte der Einnahmen geht ans Café Exil in der Spaldingstraße. Am „Karneval der Kulturen“ nicht teilzunehmen, war für die Leute von der AGIJ dagegen keine Option. Der Dachverband migrantischer Jugendgruppen wollte an den Infotischen Präsenz zeigen. Sabine Kulau interessierte sich für Salsashow und Flamencoeinlagen, die einige Gruppen aufführen wollten. Dass es weder Technik noch Gagen geben würde, hatte man akzeptiert. Doch vier Tage vor Beginn des Karnevals flatterte eine Rechnung ins Haus. „Über 800 Euro, das war nicht abgesprochen!“, so Antonia Palomino, Sprecherin der AGIJ. Daraufhin sagten die Gruppen der AGIJ ihre Teilnahme ab.

Der Karneval werden den Migranten in der Stadt „endlich ein Gesicht geben“, so die Veranstalter. „Das ist eine kommerzielle Veranstaltung, und wir machen für die nicht den Vorzeigekanaken“, sagt dagegen ein Vertreter der AGIJ. „Jeder kann sich politisch äußern, aber wir wollen hier einfach nur feiern“, lautete die Vorgabe der Organisatorin. Politik und Feiern werden hier gegeneinander ausgespielt, während die politischen Forderungen einer Gruppe wie der AGIJ – doppelte Staatsbürgerschaft, politische Rechte, Partizipation in allen Bereichen – an den materiellen Bedingungen scheitern, die von den Organisatoren geschaffen werden.

Die Auseinandersetzung legt so die politische Dimension der Veranstaltung offen. Wer vermarktet hier in wessen Namen die Kulturen der Welt? Sabine Kulau jedenfalls ist stolz, dass in ihrem Team alle ehrenamtlich arbeiten. Persönlich habe sie 40.000 Euro beigesteuert. Es gehe ja um eine gute Sache. Später sagt sie: „In drei Jahren sind wir der Event in der Stadt.“ Sie gleicht so eher einer Geschäftsfrau, die Risikokapital in eine Geschäftsidee investiert. Bis dahin gilt es, eine Situation zu nutzen: Es gibt eine Menge Gruppen, die für ihre kulturelle Arbeit hier zum ersten Mal Geld sehen. Während allerdings im Londoner Notting Hill in den 60ern karibische Migranten ein Communityfest ins Leben riefen, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen, werden in Hamburg die Bedingungen, unter denen Migranten leben, ausgeblendet. Schlimmer noch: Wer hier auftreten will, muss gültige Papiere vorlegen.

Wir werden an diesem Wochenende trotzdem feiern. Viele Bands sind einfach gut und bewegen sich jenseits der Grammatik „Weltmusik“. Da ist es auch egal, ob die Einteilung in „afro-karibisch-amerikanische Bühne“ und „eurasische Bühne“ sinnvoll ist, wenn migrantische HipHop Girls aus Hamburger Vorstädten auf der „eurasischen“ Seite rappen – weil ihre Eltern aus der Türkei kommen.

Großer Karnevalsumzug: Sa, 13 Uhr, ab U/S-Sternschanze; Bühnenprogramm: Fr ab 16 Uhr, Sa + So ab 12 Uhr, Uni-Campus (von Melle-Park/Allendeplatz); komplettes Programm: www.karneval-kulturen-hamburg.de; „Lange Nacht der Soundsystems – ohne Schirmherrschaft“: Sa, 23 Uhr, MS Stubnitz (Überseebrücke)