: Videobotschaft: Bin Wandern
Bin Ladens neuer Video-Clip lobt die 11.-9.-Attentäter und wirbt um Al-Qaida-Nachwuchs in der arabischen Welt. Seine Worte fallen auf fruchtbaren Boden
aus Kairo KARIM EL-GAWHARY
Zum zweiten Jahrestag des 11. Septembers sind sie wieder da: Bin Laden und sein wichtigster Helfer, der Ägypter Aiman Sawahiri, erscheinen auf den Bildschirmen. Der Fernsehsender al-Dschasira zeigte die beiden, wie sie ohne zu sprechen einen Berghang entlangspazieren, wahrscheinlich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Laut al-Dschasira soll der Film Ende April oder Anfang Mai gedreht worden sein. „Was wir bis jetzt gesehen haben, sind eher kleinere militärische Geplänkel, die epische Auseinandersetzung wird erst noch beginnen“, droht Sawahiri anschließend in einer zusätzlich ausgestrahlten nicht datierten Tonaufzeichnung. Dann salutiert er den „Kämpfern im Irak“ mit den Worten: „Verschlingt die Amerikaner wie die Löwen ihre Beute. Sie sollen in irakischen Gräbern begraben werden.“
Bin Laden selbst lobt in einer eigenen achtminütigen Tonaufzeichnung die Täter des 11. Septembers. Sie seien die „Saat, die Gott gepflanzt hat“, erklärte er. Zwischen Sawahiri und Bin Laden herrscht ein klare Arbeitsteilung. Während Sawahiri sich auf Drohgebährden in Richtung Westen verlegt, ist Bin Ladens Jahrestagsrede darauf angelegt, in der arabischen Welt weiter zu rekrutieren. Wahrhaft Gläubige, ehrliche und großzügige Menschen, sollten sich die Attentäter vom 11. September zum Vorbild nehmen, führt er aus. „Diese jungen Männer haben sich geweigert, sich zurückzulehnen und sich um unwichtige Dinge zu kümmern. […] Sie haben sich im Dschihad gegen die Ungläubigen engagiert. […] Jene, die Angst haben, auf Berge zu steigen, werden ihr ganzes Leben in Löchern leben.“
In einer verstörten arabischen Welt fallen Bin Ladens Worte auf fruchtbaren Boden. Würde sich erneut ein Anschlag von der Größenordnung des 11. Septembers wiederholen, die Schadenfreude im arabischen Raum wäre wahrscheinlich heute größer als vor zwei Jahren. Damals hatten die meisten zunächst jegliche arabische Verwicklung in die Attentate auf World Trade Center und Pentagon abgestritten. In einer Gallup-Umfrage in neun islamischen, meist arabischen Ländern, erklärten vier Monate danach 61 Prozent der Befragten, sie glaubten nicht, dass irgendwelche arabischen Gruppen hinter den Anschlägen steckten. Allerdings machten bereits mehr als die Hälfte deutlich, dass sie keine hohe Meinung von den USA und ihrem Präsidenten hätten, „Skrupellos, aggressiv, eingebildet, einfach zu provozieren und einseitig“ lauteten die häufigsten Attribute im Zusammenhang mit der Supermacht.
Heute dürften die Adjektive noch weit heftiger ausfallen und viele Araber würden bei einem erneuten Anschlag zufrieden feststellen, dass die Attentäter aus den eigenen Reihen kommen. Denn das Gefühl der Machtlosigkeit und damit der Wunsch nach einer Art Selbstrehabilitierung, in der gezeigt wird, dass man nicht immer nur das Opfer ist, sondern auch, wie brutal auch immer, antworten kann, ist größer denn je.
„Die Art, wie die USA in den letzten zwei Jahren mit dieser Region umgegangen sind, hat sich als kontraproduktiv erwiesen“, glaubt Muin Rabbani von der International Crisis Group in Jordanien. Zunächst, sagt er, sei da der immer noch nicht beendete Krieg in Afghanistan, dann habe Washington die israelische Besatzung als Teil seines eigenen Antiterrorfeldzugs adoptiert, und schließlich kam der Irak dazu. „Jeder Anschlag gegen die USA würde heute, nach dem Motto ,selbst Schuld‘ ausschließlich der negativen US-Politik in der Region zugeschrieben werden“, beschreibt Rabbani die Gefühlslage.
Nach dem 11. 9. hatten zunächst einige arabische Intellektuelle skeptisch gefragt, in welchen Gesellschaften sie eigentlich leben, die im Namen der Religion solche menschenverachtenden Selbstmordattentäter hervorbringen. Doch der Prozess der Selbstreflexion war nur von kurzer Dauer. Liberale arabische Intellektuelle geraten überall in die Defensive. Ihr Ruf nach Demokratisierung, Menschen- und Frauenrechten wird nun allerorten als „prowestlich“ diskreditiert. Sie fühlen sich vom Westen inzwischen verraten. Jahrelang hätten sie internationales Recht und Gerechtigkeit eingeklagt und eine friedliche und gerechte Klärung des Nahostkonfliktes gefordert, sagt Muhammad Sajjed Said, vom Al-Ahram-Zentrum für Strategische Forschungen in Kairo. Nichts wurde ihnen vom Westen angeboten. Stattdessen wurde ihnen der „Teppich unter den Füßen weggezogen“.
Damit schlug die Stunde der Radikalen. Islamisten und arabische Nationalisten sprechen inzwischen fast die gleiche Sprache. Said sieht „die Verteufelung der USA als den deutlichsten Trend in unseren Gesellschaften“. Gemeinsam ziehen Islamisten und Nationalisten, ob Fatah und Hamas, ob Baathisten oder Muslimbrüder in den heiligen Krieg gegen den Westen, meint auch der ägyptische Politologe Ahmad Abdallah. „Es ist eine Situation entstanden, in der sich die Menschen ausschließlich von Gefühlen und Instinkt leiten lassen und sich die unheilige Allianz aus Islamisten, arabischen Nationalisten und amerikanischen Neokonservativen gegenseitig die Bälle zuspielt“, sagt er.
Der Strategieforscher Said sagt eine düstere Zukunft voraus. Washingtons Reaktion auf den 11. 9. hat in der arabischen Welt zu einer gefährlichen Gegenreaktion geführt. Nicht nur, dass sich Muslime und Araber unverdient als Zielscheibe sehen. Sie gehen mehr und mehr zur kulturellen Gegenoffensive über, indem sie den Islam missionarisch als weltweites Gegenprogramm zur Rettung der Welt ansehen. Alles werde nur noch in kulturellem und religiösen Rahmen interpretiert.
Der ägyptische Politologe Abdallah ist dennoch fest davon überzeugt, dass irgendwann wieder ein rationalerer Diskurs vorherrschen wird. Wann und wie, hänge zum großen Teil auch davon ab, wie sich die USA im Irak und in Israel verhalten werden. Die arabische Welt hat laut Abdallah die Wahl: „Wir können den heiligen Krieg mit Selbstmordattentaten weiterführen oder uns irgendwann wieder einmal darüber Gedanken machen, wie die arabische Welt der Globalisierung und der westlichen Vorherrschaft begegnen soll.“ Auch wenn es erst einmal so aussehe, „als ob das ewige Feuer in der islamischen Welt schwelen wird“ – Abdallah bleibt auf lange Sicht zuversichtlich: „Wer mitten im Feuer steht“, sagt er, „dessen Instinkt wird ihm irgendwann einmal sagen, dass es das Beste ist, die Flammen zu löschen.“