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Archiv-Artikel

Der Aufrührer

„Den könnte ich zum Mond schießen“, sagt Erika Steinbach über Pawelka „Das ist meine Botschaft an die Welt“, sagt Rudi Pawelka. Ein Satz, der groß klingt

AUS LEVERKUSEN KIRSTEN KÜPPERS

Rudi Pawelka hat einen Schalensitz aus grünem Plastik. Im Stadion von Bayer Leverkusen. Jetzt am Nachmittag liegt der Rasen leer da, Rudi Pawelka streckt die Hand aus und zeigt hinüber. Reihe elf Platz 28, sein Platz, mit Dauerkarte gesichert. Einer der besten, sagt Rudi Pawelka, und Zufriedenheit liegt auf seinem Gesicht. Von hier aus sieht man das Mittelfeld, beide Tore und ein paar Reihen weiter brüllt und winkt beim Spiel der Trainer der gegnerischen Mannschaft. Und das ist doch schon was, was man vorzeigen kann.

Man kennt Rudi Pawelka aus anderen Zusammenhängen. Er ist der Vorsitzende der schlesischen Landsmannschaft. Außerdem ist er der Aufsichtsratsvorsitzende der „Preußischen Treuhand“, einer Organisation, die die Rückgabe ehemals deutschen Eigentums in Polen fordert. Im Herbst will die Treuhand vor polnischen und europäischen Gerichten Klage einreichen. In vielen Interviews hat Pawelka das angekündigt.

Aber jetzt, wie er auf der Treppe steht und vom Fußball redet und das ganze Glück der Welt in einem grünen Schalensitz liegt, da ist der 64-jährige Rudi Pawelka nur ein Fan von Bayer 04 Leverkusen. Beim Spiel keucht Pawelka die Treppe hoch zu den Zuschauerrängen, die Stufen runter zu seiner Reihe. Er schiebt sich durch die Menge, lässt sich auf seinen Sitz fallen, stimmt ein in das rauschende Bravo für seine Mannschaft. Und wahrscheinlich zeigt Pawelka deswegen seinen schönen Platz im Stadion her. Weil man daran sehen kann, dass er nicht draußen steht. Dass er dazugehört zu den vielen in diesem fußballverrückten Land. Dass er angekommen ist.

Pawelka dreht den Rücken zum Spielfeld. Er ist einer von diesen sportlichen Rentnern, braun gebrannt, die Haare blondiert, ein Herrenhandtäschchen baumelt am Handgelenk. Pawelka läuft rüber zum Parkplatz zu seinem silberfarbenen BMW. Das ist auch so ein Objekt, das deutlich macht, dass er es geschafft hat. Genauso wie die Neubauwohnung, zu der er jetzt fährt.

Denn das scheint noch in ihm drinzustecken: dass man sich beweisen muss. Rudi Pawelka ist Polizist gewesen, fast 42 Jahre lang, jetzt ist er im Ruhestand. Er könnte Fußballspiele gucken und mit dem Auto herumfahren. Aber Rudi Pawelka hat sich anders entschieden. Er hat lieber die Sache mit der Preußischen Treuhand vorangetrieben und sich unbeliebt gemacht bei vielen.

Die Preußische Treuhand ist verantwortlich dafür, dass das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen so schlecht ist wie lange nicht. Pawelka ist schuld, dass polnische Bauern wieder Angst haben vor Deutschen, die sie davonjagen wollen. Die Angst ist so groß, dass polnische Bürgermeister angefangen haben, Straßen zu zählen, die es nicht mehr gibt, Bombeneinschläge und fehlende Brücken. Für Warschau stehen schon 31,5 Milliarden Dollar auf der Rechnung, sagen die Bürgermeister. Wenn die deutschen Vertriebenen klagen, dann sollten auch die Deutschen zahlen für die Verwüstungen, die sie angerichtet haben.

Und angesichts dieser Entwicklungen hielt es der Bundeskanzler für besser, Rudi Pawelka und seine Treuhand zurechtzuweisen. In seiner Rede zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands Anfang August stellte Gerhard Schröder klar: „Die Bundesregierung wird solchen Ansprüchen entgegentreten und dies auch vor jedem internationalen Gericht deutlich machen.“

Nicht mal bei den Vertriebenen selbst scheinen seine Interviews gut anzukommen. „Den könnte ich zum Mond schießen“, sagt Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, wenn Journalisten sie nach Pawelka fragen. Die angekündigten Klagen unterstütze sie nicht.

Pawelka sitzt in einem Stuhl auf der Terrasse. Er ist ruhiger jetzt, hat ein paar Dinge gezeigt, die gemeinhin für ein gutes Leben stehen. Das steckt in ihm drin. Das liegt daran, dass er Flüchtlingskind war. Dass er als Junge von Breslau nach Görlitz geflüchtet ist, von dort auf einen Bauerhof bei Landshut, dann ist die Familie nach Blegede in Niedersachsen gezogen, Pawelka lief barfuss zur Schule, das Geld für Schulbücher konnten sie nicht bezahlen, er hat Kartoffeln geerntet beim Bauern, später sind sie nach Bergisch-Gladbach und schließlich hat er es hier nach Leverkusen in eine Neubauwohnung mit Garten geschafft. Pawelka schaut auf die Lehne des Gartenstuhls. „Ich weiß, wie es unten aussieht“, sagt er, sein Blick wird schwer.

Und wahrscheinlich muss man in diese Vergangenheit gucken, um zu verstehen, warum Rudi Pawelka jetzt die Welt gegen sich aufbringt. Warum er sich mit Rechtsanwälten trifft. Warum er sich den ganzen Ärger aufhalst. Das Telefon im Wohnzimmer klingelt ständig, er bekommt böse E-Mails. Man muss wissen: Pawelkas Familie hat nie Ländereien in Polen besessen, um die er jetzt kämpfen könnte. Warum legt sich Pawelka nicht einfach still in seinen Gartenstuhl und genießt den Sommer? „Es liegt an der Vergangenheit“, antwortet er.

Die Vergangenheit für Rudi Pawelka ist so: Er lässt aus, dass der Krieg mit dem Einmarsch in Polen begann. Er erwähnt nicht, dass Polen ein Fünftel seiner Bevölkerung verloren hat und ein Drittel seines Territoriums im Osten an die Sowjetunion, dass es auch polnische Vertriebene gab. Pawelka spricht nur von den Deutschen im Osten. Er sagt: Das Leid war schlimm, die Bombardierungen, die Angst. Fünf bis sieben Millionen wurden bei Kriegsende aus Schlesien, Hinterpommern und anderen Gegenden vertrieben. Pawelka meint, er wolle nicht anfangen von den Morden und Vergewaltigungen. „Ich sage nur: Es hat Millionen von Opfern gegeben!“

Im Westen angekommen, mussten die Flüchtlinge in Lagern unterkommen. Pawelka hat in einer Jugendgruppe der schlesischen Landsmannschaft Tischtennis gespielt. Später ist er Polizist geworden und in die CDU eingetreten, die Welt war in zwei Blöcke geteilt. „Aber wir haben immer gehofft, dass noch eine Entschädigung kommt“, meint Pawelka. „Die ganze Zeit.“ In der Leverkusener Frauengruppe nähten seine Frau und seine Tochter schlesische Trachten.

Manche aus der Landsmannschaft haben damals Briefe geschrieben an die Bundesregierung. Noch heute verschickt das Finanzministerium als Antwort Formbriefe, in denen es erklärt, die Bundesrepublik habe keine Forderungen an Polen. Den Verzicht auf „individuelle Ansprüche von Deutschen“ bedeute dies jedoch nicht. „Für deren Geltendmachung stehen den Betroffenen die in den jeweiligen Ländern oder internationalen Institutionen bestehenden rechtlichen Möglichkeiten offen.“ Und diese Formulierung ist ja wirklich etwas, was Erwartungen schürt, findet Pawelka. Er lacht.

Die Vertriebenen wurden hingehalten. Sie durften ihre Lieder singen, ihre folkloristischen Kleider anziehen, sie durften wählen gehen. Mehr passierte nicht. Der Mauerfall war eine gute Zeit für neue Hoffnungen. Die Landsmannschaften fuhren mit Bussen in die alte Heimat. Manchmal bewarfen polnische Bauern die Touristen mit Steinen. Aber in Izbicko, dem früheren Stubendorf, gab es auch Volksfeste mit Bier und deutsch-polnischen Tanzgruppen. Die Freundschaft entwickelte sich schleppend.

Dann kam das Gesetz zur Entschädigung der Zwangsarbeiter. Pawelka hat auch Geld für deutsche Zwangsarbeiter gefordert, die nach dem Krieg nach Sibirien verschleppt wurden. Und auch die Vertriebenen sollten entschädigt werden. Man warf Pawelka vor, er würde die Opfer des Holocaust verhöhnen mit so einer Forderung. Pawelka verteidigte sich: „Ich will uns in keiner Weise gleichsetzen mit den Holocaust-Opfern. Aber was uns passiert ist, ist auch schlimm! Die Vertriebenen haben den Krieg schließlich nicht allein verloren.“

Pawelka ging in Rente. Als sich auch mit der EU-Osterweiterung keine Entwicklung in der Vertriebenenfrage abzeichnete, guckte er auf die Trachtenpuppe, die seine Frau im Wohnzimmer aufgestellt hat. Er dachte an die Gesichter bei den Schlesiertreffen, sie wurden immer älter, Pawelka dachte: „Jetzt reicht’s!“

Die Preußische Treuhand GmbH & Co KG a. A. hatten er und ein paar andere Vertreter aus dem Bund der Vertriebenen vor vier Jahren gegründet, es gibt eine Adresse bei der Landsmannschaft Ostpreußen in Düsseldorf und eine ehrenamtliche Sekretärin. 1.000 Anteilsscheine an ihrer Interessenvertretung haben sie bereits verkauft, meint Pawelka. Er glaubt, dass es mehrere tausend Kläger geben könnte. Von dem eingenommenen Geld sollen Anwaltskosten und Teilzeitkräfte bezahlt werden. Und jetzt, ruft er, jetzt kommen im Herbst die Klagen. „Die Politik muss gedrängt werden.“ Pawelka ruft es aus seinem Gartenstuhl heraus. „Wir sehen keinen anderen Weg!“

Es ist schnell gegangen. Pawelka hat den Fußball vergessen. Er ist jetzt ein Vertriebenenfunktionär, der nicht länger warten will. Er will die Sache jetzt erkämpfen. „Das ist meine Botschaft an die Welt“, sagt er. Ein Satz, der groß klingt. So als ob die Welt nur warten würde auf eine Botschaft von Herrn Pawelka aus Leverkusen. „Vertreibungen dürfen sich nicht lohnen“, sagt er. „Ein Staat, der das gemacht hat, muss sich stellen. So wie Deutschland sich auch gestellt hat. Sonst wird es niemals mit der Versöhnung klappen.“

Man kann es auch so sehen: Rudi Pawelka hat keinen Spleen, er hat einen Auftrag. Er sagt, er wolle sich nicht mit Geld abspeisen lassen. Selbst wenn die Bundesregierung zahlen würde. „Das würde so wirken, als wären die Vertriebenen geldgierig.“ Außerdem bedeute eine solche Regelung „die Aufgabe des Heimatrechts“. Es ist nicht ganz klar, was er damit meint, er redet einfach weiter: „Aber Heimatrecht und Eigentum gehören zusammen.“ Die Augen gucken müde. Pawelka hat schon einen langen Weg hinter sich. Mit dem Knie stößt er den Gartenstuhl unter den Tisch. Er hat keine Zeit mehr. Er muss jetzt zur Krankengymnastik.

Man wird sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Bislang hat es nicht richtig funktioniert mit Pawelkas Botschaft. Pawelka hat viele gegen sich: Polen, Deutsche, den Kanzler, Erika Steinbach. Rudi Pawelka hat sich in eine Ecke manövriert, aus der er schwer herauskommt. Die Volkstanzgruppen aus Izbicko haben sich auch schon lange nicht mehr gemeldet.