Vom Jugendwahn verschont geblieben

Wer in einem Kurort aufgewachsen ist, weiß, wie sich das Leben im Rentnerpark Deutschland künftig anfühlen wird

Das Besondere an Bad Lippspringe ist das Pflaster. Es ist nahezu unheimlich glatt. In der Stadt findet sich kein Schlagloch und kein Hubbel, wöchentlich werden sämtliche Wege von Fachkräften auf Lkw-Furchen untersucht. Ganz Bad Lippspringe kann mit Rollstühlen und den „Esel“ genannten vierrädrigen Gehwagen, die alte Menschen oft vor sich herschieben, durchquert werden – ohne eine nennenswerte Erschütterung.

Wer in Bad Lippspringe aufwächst, weiß, wie die deutsche Kleinstadt in dreißig Jahren aussieht. Sie ist glatt, aber nicht rutschig, sie kennt keine Treppen mehr, nur noch Rampen, keinen Stieg ohne Geländer, und keine Fußgängerzone ohne Wachpersonal. Auch in dem Städtchen am Teutoburger Wald, das 15.000 Einwohner, 350.000 Übernachtungen vornehmlich von Gästen im Rentenalter und drei Heilquellen zählt, flanieren städtische Angestellte in blauen „Bürgerservice“-Laibchen auf und ab. Sie befriedigen das Sicherheitsbedürfnis der Leute, das mit zunehmenden Zweifeln an den eigenen Körperkräften sozusagen naturgemäß wächst.

Kinder fahren nur in den Wohnvierteln auf bunten Fahrrädern herum – es sind die Kleinen der Ärzte und Krankenschwestern in den Kurkliniken. Doch in der Innenstadt sind Kinder selten. Radeln sie, werden sie prompt ermahnt, bewegen sie sich langsam genug, folgen ihnen viele freundliche Augenpaare – besorgt, verträumt, gerührt: Ach, kuck mal, ein Kind, wie nett. Das Kind, die Ausnahme. Ab etwa zwölf Jahren jedoch stehen Kinder in bedrohlichen Klumpen an Bushaltestellen herum, sie rauchen und ziehen Unwillen auf sich, auch weil sie wenig Acht geben auf die Blumenrabatten.

Der kleine Einzelhandel bekommt seine Chance, denn alte Menschen scheuen den großen Supermarkt. Sie kaufen in Reformhäusern, Apotheken und Drogerien alles zwischen Tai Ginseng und Klosterfrau Melissengeist und Unmengen Rundumgesund-Produkte, deren Vorzüge sie sich gegenseitig in den Eisdielen und Caféhäusern anpreisen. Die Sanitätshäuser haben Konkurrenz bekommen: An jeder Ecke gibt es Vertriebe für Inkontinenzbinden und Stützstrümpfe zu Sonderpreisen.

Alter und Krankheit ist in Bad Lippspringe nicht nur selbstverständlich, es ist das Geschäft. Ihm ordnet sich das Leben der Stadt unter. „Jedenfalls“, pflegen Lippspringer zu sagen, „bleibt man hier vom Jugendwahn verschont.“ ULRIKE WINKELMANN