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Archiv-Artikel

fußpflege unter der grasnarbe Sex & BAP & Morgenpost

Im Laufe meines Fußball-Lebens sind mir ständig Menschen begegnet, die bekannten, sie sympathisierten mit den Wolverhampton Wanderers – ohne viel über den Verein zu wissen, geschweige denn, jemals eines seiner Spiele gesehen zu haben. Ihre Vorliebe beruhte allein auf dem Klang des Namens. Mich becirct die Alliteration auch heute noch, und deshalb freut es mich, dass die “Wolves“ seit Saisonbeginn wieder erstklassig sind. Zumal die Geschichte andere schöne Namen längst in den Orkus gespült hat: Aktivist Schwarze Pumpe, Fortschritt Meerane, Kali Werra Tiefenort.

Solch sperrig-futuristische Poesie sucht man im Verbreitungsgebiet dieser Kolumne zwar vergebens, aber es gibt zumindest ähnliche Phänome. Als Kind musste ich montags stets wissen, wie Hemdingen und Hetlingen gespielt haben. Die Namen hatten etwas Geheimnisvolles, weil ich – obwohl die Klubs dem Hamburger Fußballverband angehören – nicht wusste, wo diese Orte liegen. Auch heute informiere ich mich gelegentlich über deren Ergebnisse – und stoße dabei auf neue Rätsel: Welche politische Botschaft verbirgt sich hinter der Klubnamensgebung Mesopotamien (Kreisliga 1)? Was will uns der Verein A.P.H. (Kreisliga 2) mit seinem Kürzel sagen? Und wo, verdammt, liegt eigentlich Hörnerkirchen (Kreisliga 8)?

Attraktiv fand ich oft auch Vereine, die eine Farbkombination im Namen tragen. Komischerweise konnte ich aber nie etwas an Blau-Weiß Friedrichstadt finden, sehr wohl aber an Rot-Gelb Harburg (der Name ist mittlerweile verschwunden) und Rot-Weiß Essen. Im letzteren Fall hatte es möglicherweise auch etwas damit zu tun, dass der Klub underdoggig durch die Ligen vagabundierte (je dreimal Aufstieg in die 1. und 2. Liga).

Mit der Sympathie war es aber vorbei, als RWE 1986 in der Aufstiegsrunde zur 2. Liga auf den FC St. Pauli traf – der heute auf eine eine ähnliche Geschichte zurückblickt (dreimal Aufstieg in die 1. Liga, zweimal in die 2.). Der Auslöser meiner neuen Haltung war nicht zuletzt ein Transparent, auf dem der Slogan “Sex & BAP & RWE“ prangte – bis zur schauspielerischen Einlage Benjamin Köhlers am Samstag der unschönste Essener Beitrag zur jüngeren Fußballgeschichte.

Des Weiteren verbinde ich mit Essen die erste prägende Erfahrung mit dem Sportjournalismus. Im Hinspiel der besagten Aufstiegsrunde an der Hafenstraße (2:1 für RWE, Torschütze für St. Pauli: Dietmar Demuth), stürzte trotz aller Spannung irgendeine renommierte Supernase vom kicker schon vor Spielende in den Presseraum, um sich als erster über die Schnittchen hermachen zu können. Danach war das Blatt für mich gestorben. Das zweite Schlüsselerlebnis dieser Art hatte ich erst kürzlich in der U-Bahn, als ich einen Sportredakteur der Morgenpost dabei beobachtete, wie er in seinem eigenen Revolverblatt das Kreuzworträtsel löste. Ein besseres Sinnbild für das Niveau des Hamburger Sportjournalismus kann es kaum geben. Aber so lange ich noch erfahre, wie Hemdingen und Hetligen gespielt haben, werde ich bestimmt nicht ausfällig.

Fotohinweis: René Martens, veröffentlicht demnächst das Buch „Scheiß Fußball! – Was richtige Fans so richtig ärgert“