: Klare Worte jenseits des Rituals
Deutlich wie kein deutscher Staatsbesucher zuvor hat Bundespräsident Johannes Rau in seiner Rede in der Universität von Nanjing die Einhaltung der Menschenrechte in China eingefordert. Die üblichen Gegenargumente lässt Rau nicht gelten
NANJING dpa ■ Kein Bundespräsident vor ihm und kein Bundeskanzler hat bisher in China so deutliche Worte zum Stand der Menschenrechte gefunden wie Johannes Rau. Zu Beginn seiner Rede im Auditorium der Universität von Nanjing zitierte Rau am Samstag den chinesischen Philosophen Konfuzius auf die Frage, was denn das Wesen einer „guten Regierung“ sei: „Regierung ist Rechtmachen. Wenn du recht führst, wer wird dann wagen, nicht recht zu handeln.“
Er spricht von der Erkenntnis, „dass ein Riesenland wie China nicht dauerhaft mit einer autoritären Politik gut regiert werden kann“. „Jede Staatsmacht, die erfolgreich sein und den Menschen Wohlstand bringen will, ist auf das Vertrauen und auf grundsätzliche Zustimmung der Menschen angewiesen.“ Wieder zitiert Rau Konfuzius, dass zum Wesen einer „guten Regierung“ auch „ausreichende Nahrung, ausreichende Rüstung und das Vertrauen des Volkes“ gehörten. Wenn auf etwas davon verzichtet werden müsste, dann wären das Nahrung und Rüstung, so der Gelehrte, aber: „Ohne das Vertrauen des Volkes kann kein Staat bestehen.“
Sei es beim Abendessen mit Staats- und Parteichef Hu Jintao in der Großen Halle des Volkes in Peking, als er Einzelschicksale und die Religionsfreiheit ansprach, oder vor den Studenten in Nanjing: Der Bundespräsident kümmerte sich in China um die Menschen und das Recht. Während Kanzler Gerhard Schröder die Übergabe von Listen mit Namen von Dissidenten als „Ritual“, das doch nichts bringe, abgetan hatte, oder andere sich wegen Wirtschaftsinteressen lieber auf die Zunge beißen, ließ sich Rau nicht beirren: „Auch wir erwarten von unseren Freunden, dass sie uns raten und uns offen ihre Meinung sagen.“
Im schwarz-roten Talar der Universität, die ihm die erst dritte Ehrendoktorwürde in ihrer Geschichte verliehen hat, wies Rau gleich mehrere chinesische Argumente zurück, die den Menschenrechtsdialog immer wieder ins Leere führen. Erst mal sei westliche Kritik keine Einmischung in innere Angelegenheiten, da Menschenrechte universell seien. Dann konnte er „nicht anerkennen“, dass China erst das Recht auf Nahrung und Wohnung erfüllen will, bevor es sich der Rede- und Informationsfreiheit zuwendet. Rechte derart gegeneinander auszuspielen, will Rau nicht mitmachen.
Auch das chinesische Argument, dass westliche Individualrechte nicht zum asiatischen Gesellschaftsmodell passten, in denen sich der Einzelne dem – von oben definierten – Gemeinwohl unterzuordnen habe, nannte Rau schlicht eine „falsche Perspektive“: „Die Menschenrechtsidee ist verschiedener Ausprägungen fähig“ – auch einer, die auf Gemeinschaftspflichten ausgerichtet sei.
Die „Ethik der Humanität“, die Rau in der „guten Regierung“ von Konfuzius und den Texten der großen chinesischen Denker findet, „gibt mir die Zuversicht, dass China unsere Haltung als Erinnerung an eigene Traditionen versteht“. Er erkennt einen „Bewusstseinswandel“ durch eine stärkere Ausrichtung auf ein „Regieren nach dem Gesetz“. Durch den seit vier Jahren laufenden Rechtsdialog wolle Deutschland hier helfen.