: Der zweite Fall in drei Monaten?
Hat ein psychisch Kranker getötet, weil die Schwere seiner Störung nicht erkannt wurde? Während die Staatsanwaltschaft versucht, den Tod einer 61-Jährigen aufzuklären, stehen Psychiatrieexperten im Erklärungszwang
bremen taz ■ Hat wieder ein psychisch Kranker getötet, weil das Ausmaß seiner Krankheit falsch eingeschätzt oder seine Psychose unzureichend behandelt wurde? Wurde der 28-jährige Peter C. dadurch zum Täter?
Nachdem erst vor zwei Monaten in der Bremer Neustadt eine bekanntermaßen geistig gestörte Frau ihre junge Nachbarin erstach, sind Öffentlichkeit und Fachleute in Bremen alarmiert, seit bekannt wurde, dass ein weiterer Psychiatriepatient, Peter C., am Samstag seine Mutter (61) in seinem Schwachhauser Apartment erstochen haben soll.
Gestern Mittag wurde der Verdächtige erstmals verhört. Der ursprünglich Flüchtige war in der psychiatrischen Abteilung einer niedersächsischen Klinik aufgespürt worden, wo er landete, weil er am Sonntag aus dem Watt vor Cuxhaven gerettet werden musste. Dabei hatte er – neben einem falschen Namen – angegeben, sich beim Wattwandern verlaufen zu haben. Ärzte wiesen ihn in die Klinik ein, weil sie einen Selbstmordversuch vermuteten und das Verhalten des Mannes auffällig war. Letzteres scheint anzudauern.
„Der Beschuldigte hat sich zum Tatvorwurf nicht geäußert“, sagte Staatsanwalt Uwe Picard gestern vor der Presse. Der Mann wirke aber sehr verwirrt. Eine Psychiatrie-Einweisung sei nicht ausgeschlossen.
Der Festnahme vorausgegangen waren angespannte Stunden der Fahndung. Man fürchtete, dass der Mann sich im Zuge seiner Wahnvorstellungen ein weiteres Opfer suchen würde – wie es die Mutter geworden sein könnte. Diese hatte den Sohn gutgläubig zu einem Gespräch in dessen Schwachhauser Apartment aufgesucht – möglicherweise, um wieder Kontakt aufzunehmen, nachdem der Mann seine Eltern zwei Wochen zuvor in deren Wohnung beleidigt und geschlagen hatte. Das Paar hatte zwar die Polizei alarmiert, aber keine Anzeige erstattet. Stattdessen gaben Mutter und Vater zu Protokoll, dass ihr Sohn seit rund einem Jahr in psychiatrischer Behandlung sei.
Der noch in der Nacht des Angriffs hinzugezogene Sozialpsychiatrische Dienst sah zu einer Zwangseinweisung in die Klinik jedoch keine Notwendigkeit: Der Mann habe ruhig gewirkt. Auch sei er bislang noch nicht gewalttätig gewesen. „Wir haben dazu eine Stellungnahme des Sozialpsychiatrischen Dienstes angefordert“, erklärte gestern die Sprecherin des Bremer Gesundheitsressorts, Heidrun Ide.
Eine erste Betrachtung des Falles ergibt derweil, dass außer Sozialpsychiatrischem Dienst auch andere Fachleute Kontakt zu dem Mann hatten. Einer Stellungnahme des Gesundheitsressorts zufolge wurde er nach wiederholten Psychiatrie-Aufenthalten seit seiner letzten Entlassung im Mai von einem psychiatrischen Kranken-Pflegedienst betreut. Seit dem bekannt gewordenen Angriff auf seine Eltern soll er in den vergangenen zwei Wochen mindestens vier Mal Kontakt zu diesen Pflegeprofis gehabt haben; bei der Gapsy gGmbH will zu dem „schwebenden Verfahren“ jedoch niemand Stellung nehmen. So lange bleibt offen, wer für eine offenbar verschriebene regelmäßige Medikamenteneinnahme des Kranken sorgte – oder ob diese ärztlich angewiesen war. Klar ist nur, dass Peter C. noch am Tag vor dem Tod seiner Mutter seine Nervenärztin aufsuchte. Dabei habe es Hinweise auf eine Gewaltbereitschaft des Mannes nicht gegeben. Experten rätseln derweil über die rasante Zunahme gefährlicher tätlicher Angriffe durch psychisch Kranke. ede