: Gekoppelt gegen Laster & Hänger
Bezirk bekommt Geld für Umbau des Boxhagener Platzes. Dann soll auch eine Wagenburg verschwinden. Deren Bewohner und der Bezirk halten das für abstrus
Die Herren in Anzug mit Fliege und die Damen in schwarzen Cocktail-Kleidern: Ganz vornehm besetzte jetzt ein gutes Dutzend Abgesandte des Friedrichshainer Wagendorfs „Laster & Hänger“ gestern kurze Zeit das Büro von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) – um ihr einen offenen Brief zu überreichen. Der Anlass: Das Alternativprojekt an der Modersohnstraße in Friedrichshain sieht sich durch aktuelle Planspiele des Senats akut bedroht. Denn mit über 1 Million Euro aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ soll nicht nur der Boxhagener Platz mehr Angebote für Familien mit Kleinkindern bekommen. Gleichzeitig soll auch das nahe gelegene Wagendorf einer Art „Spiel- und Bewegungsfläche“ für Jugendliche weichen.
„Frau Senatorin, sind die Gelder für beide Projekte fest aneinander gekoppelt und an die Bedingung geknüpft, dass wir dort verschwinden?“, wollte daher ein Bewohner von „Laster & Hänger“ wissen. „Also, einfach so eine Million für den Kiez, das gibt es nicht“, antwortete die Senatorin – leicht genervt vom Überraschungsbesuch. „Der Bezirk hat lange geplant und muss jetzt sagen, ob er die Gelder haben will oder nicht. Ich habe eine lange Liste, wo das Geld auch noch hinfließen könnte, von Marzahn bis Hellersdorf.“ Den Vorwurf, sie würde Friedrichshain-Kreuzberg dadurch erpressen, wies sie zurück. „In Bezirksangelegenheiten mische ich mich nicht ein.“
Da stimmt ihr Bezirksbaustadtrat Franz Schulz (Grüne) voll zu. Doch was mit dem Geld geschehen soll, sieht er völlig anders. „Der Boxhagener Platz und die Wagenburg haben keinen Zusammenhang.“ Man könne die Projekte allenfalls fördertechnisch koppeln, aber nicht fachlich und sachlich. Denn der geplante Umbau des Boxhagener Platzes vertreibe gar keine Jugendlichen, „weil die dort sowieso nicht zum Skaten hingehen“. Insofern müsse man auf der Wagenburgfläche auch keinen „Ersatz für wegfallende Jugendprojekte“ finden. „Außerdem wüsste ich nicht, was ich mit einer Million auf dem Gelände an der Modersohnstraße anfangen soll. Da könnten wir vergoldete Halfpipes bauen“, sagt Schulz.
Stattdessen entwickle daher eine Arbeitsgruppe des Bezirksamts momentan eine sinnvollere Lösung für den Kiez. „In der Scharnweberstraße ging eine Schule vom Netz, die über eine größere Freifläche und eine leer stehende Halle verfügt. Wir denken, dass das Geld hier besser angelegt wäre“, sagt der Baustadtrat. So sei die frühere Schulhalle sehr gut als Indoor-Anlage für Skateboarder und Inline-Freaks geeignet. Für etwas über 400.000 Euro Fördergelder könne man diese Halle „für die nächsten 50 Jahre“ sanieren. Dadurch würde eine Angebotslücke geschlossen – sogar für den Betrieb im Herbst und Winter. Auch der Lärmschutz für Anwohner wäre so kein Problem.
In etwa 14 Tagen soll nun ein Nutzungsbild für die diskutierten Flächen vorliegen, das die Arbeitsgruppe des Bezirksamtes ausfeilt. Denn: „Wir möchten, dass Laster & Hänger an diesem Standort bleiben“, betont Schulz. Wagendörfer seien „prägend für das Stadtbild“ und gehörten zu Berlin, „wenn sich die Stadt zur Großstadt bekennt“. Und dann fügt Schulz noch hinzu: er schätze an Junge-Reyer, „dass sie eine sorgfältig abwägende Politikerin ist, die sich nicht unnötig in Konflikte mit dem Bezirk einlässt“.
TOBIAS VON HEYMANN