: Schwermut tanken
Finnischer Tango von Markus Allan in der Musikhalle und im Abaton zu Aki Kaurismäkis „Der Mann ohne Vergangenheit“
von JAN MÖLLER
In Aki Kaurismäkis Film Wolken ziehen vorüber gibt es eine schöne Sequenz, in der eine abgekämpft wirkende Restaurantchefin mit Wodka- und Zigarettenstimme ihren hängeschultrigen Bediensteten erklärt, dass sie ab dem folgenden Tag nicht mehr zu kommen bräuchten. Ihr Lokal „Dubrovnik“, offenbar allen ans Herz gewachsen, hat sie nämlich an eine große Kette verkaufen müssen, und für die alte Belegschaft haben die herzlosen Kapitalisten keine Verwendung mehr. Die Jobs sind also weg, es ist Herbst in Helsinki – was könnte da besser helfen als ein richtig trauriger finnischer Tango?
Und so steht am letzten Abend im „Dubrovnik“ ein Mann mit voluminösem Oberkörper und silberweißem Haar auf der Bühne und singt Zeilen wie diese: „Unsere verblassten Träume treiben mir Tränen in die Augen. Die Winde des Schicksals haben alles verweht.“ Begleitet wird er von den steifen Rhythmen eines wunderbaren Orchesters, dessen Mitglieder allesamt den Eindruck erwecken, sie würden, wenn sie zwischen einem berühmten Konzerthaus und einem Seniorenstift als Auftrittsort wählen dürften, sich stets für letztere Option entscheiden.
Der Mann heißt übrigens Markus Allan, im Film und auch im wirklichen Leben. Filigran ist es nicht, was er und seine kleine Band da bieten, dafür aber tausend Tränen tief. Das liegt nicht nur an Allans weicher, voller Stimme, sondern auch daran, dass er dank der Beschränkung seiner Bewegungen und Gesten auf das absolute Mindestmaß ein Maximum an Ausdrucksstärke erreicht.
Die Kunst des würdevollen Auftritts hat der Roma-Sänger in über 40 Bühnenjahren gelernt: 1945 geboren, gab er noch in der goldenen Zeit des finnischen Tangos seine ersten Konzerte. Als mit dem Erfolg der Beatmusik in den Sechzigern das Interesse der finnischen Öffentlichkeit an Tangos nachließ, fiel er jedoch in ein Karriereloch, aus dem er erst 1996 wieder auftauchte – nicht zuletzt dank Aki Kaurismäki und besagtem Film.
Zum Soundtrack von Kaurismäkis Der Mann ohne Vergangenheit durfte Allan wieder ein Lied beisteuern, und das wird am Donnerstagabend im Abaton-Kino wohl gleich zweimal zu hören sein. Weil der Film dort gezeigt wird – und weil Allan persönlich ein paar Tangos vortragen wird. Wer schon vorher ein wenig Schwermut tanken möchte, hat dazu in der Kleinen Musikhalle Gelegenheit: bei Allans Konzert mit dem finnischen Avanti! Chamber Orchestra, das vor 20 Jahren von den mittlerweile weltbekannten Dirigenten Esa-Pekka Salonen und Jukka-Pekka Saraste gegründet wurde.
Bislang sind zwar noch die meisten Versuche gescheitert, die Seele des finnischen Tangos aus dessen Heimat – den hölzernen Tanzschuppen mitten im Nirgendwo, die man tanssilava nennt – in einen bürgerlichen Rahmen hinüberzuretten. Diesmal aber könnte es klappen. Laut Finnlands wichtigster Zeitung Helsingin Sanomat wird nämlich alles, was das Orchester anfasst, zu Gold. Und sollten die Musiker allzu viel Glanz verbreiten wollen, wird der Mann mit dem voluminösen Oberkörper und dem silberweißen Haar schon dagegen ansingen.
morgen, 19 Uhr, Musikhalle (mit Avanti! Chamber Orchestra); 21.30 Uhr, Abaton (mit Der Mann ohne Vergangenheit)