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Archiv-Artikel

Entspannter Triumph

Eine sanfte Besetzung und eine Einladung zur Transformation des symbolischen Kapitals: Am Freitagabend begann in Berlin die viel diskutierte kulturelle Zwischennutzung des Palasts der Republik mit einer Party. Deren Hauptdarstellerin jedoch war die neue, transparente Architektur des Gebäudes selbst

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Vor einem Jahr noch stand die Erinnerung im Vordergrund. Zu jeder Führung, die der Verein Zwischen Palast Nutzung im Sommer 2003 durch den seit 13 Jahren geschlossenen Palast der Republik in Berlin möglich machte, kamen viele ältere Besucher: Hier waren sie tanzen gewesen, hatten Konzerte der Weltmusik gehört, soweit die Welt der sozialistischen Bruderländer reichte, oder waren einfach dem Licht gefolgt, das der Palast nachts in einer an Ausgehmöglichkeiten armen Hauptstadt der DDR ausstrahlte. Das mochte sentimental und nostalgisch sein und eine einseitige Wahrnehmung des symbolischen Kapitals des Palasts.

Das Gebäude und der Verein, der mit den Begehungen den Palast wieder ins öffentliche Bewusstsein hob, waren es nicht. Die Architektur, asbestsaniert und freigelegt bis auf ein Skelett aus Stahl und Beton, zeigte sich innen von einer Transparenz, die zu Zeiten des funktionierenden Palasts so nicht wahrnehmbar gewesen sein konnte. Die gigantischen Ausmaße, nun von allen Standpunkten aus visuell erfassbar, sind sehr wohl lesbar als Zeichen für einen unstillbaren Hunger nach Größe. Gruppen von vierzig oder hundert Leuten schrumpfen hier zu kleinen Häuflein zusammen. Die Demontage aufgrund des Asbests – und wohl kaum eine andere Asbestsanierung leistete dem Verdrängen eines ungeliebten Teils deutscher Geschichte so praktisch Vorschub – hat das Gebäude aber zugleich des Muskelspiels der Macht beraubt. Als Ruine ist plötzlich Offenheit zur größten Qualität des Palasts geworden. Wenn draußen die Sonne untergeht, schickt sie ihre Strahlen quer durch die Stahlträger und Streben und lässt die Scheiben innen erglühen. Das Abendlicht und die Stare, die in riesigen Schwärmen über den Palast ziehen, gehörten denn auch am Abend seiner Wiedereröffnung als „Volkspalast“ zu den schönsten Bildern.

Die Eröffnung wurde mit einer Party gefeiert, und deren Besucher, die auch vier Stunden nach Beginn noch an der Kasse Schlange standen, um die Puppetmastaz und ein DJ-Programm von Peaches zu erleben, wurden mit vorgerückter Uhrzeit zunehmend jünger. Anfangs glichen die Gäste einer Zusammenkunft jener Kulturszene Berlins, die am weitesten fortgeschritten ist in der Überwindung der Grenzen zwischen freien Projekten und institutionellen Apparaten. Zwischennutzungen zu ermöglichen und damit die Stadt in ihren historischen Umbrüchen selbst zum Akteur zu machen, ist eine ihrer professionellen Spezialitäten.

Später kamen die, die in solchen Locations groß geworden sind und es vierzehn Jahre nach der Schließung des Palasts der Republik wahrscheinlich nicht einmal erstaunlich finden, jetzt dort auf der großen Treppe zu lümmeln, wo früher das Lümmeln in Sesselgruppen, wie sich der Eröffnungsredner Ulf Kalckreuth erinnerte, den Unmut des Personals auf sich zog.

In diesem Wechsel eines Publikums sieht denn auch Thomas Flierl, Kultursenator Berlins und Schirmherr und Eröffnungsredner im Volkspalast, die größte Chance, den Palast von jener retrospektiven Symbolisierung eines untergegangenen Staatswesen zu befreien, die ihm durch die sanierungsbedingte Schließung zugewachsen war. Als Volkspalast kann er zu mehr als einem vergangenheitsbesetzten Zeichen werden. Der Beschluss zum Abriss, mehrfach bestätigt und noch immer gültig, wird dadurch zwar nicht den Verdacht los, die DDR-Geschichte spurlos entsorgen zu wollen; zumal der Bundestag auch beschlossen hat, an diesem Ort ein Gebäude in der Kubatur des ehemaligen Stadtschlosses wieder zu errichten. Da aber sowohl für den Abriss des Palasts wie für den Neubau die Finanzierung nicht gesichert ist, ist die Zwischen Palast Nutzung, vorerst für ein paar Monate, das beste Konzept, die leere Mitte der Mitte Berlins wiederzubeleben.

Öffentlichen Raum durch öffentliche Nutzung als solchen zu erhalten und nicht durch die Verwahrlosung des Leerstandes der Rettung durch privates Kapital zu überantworten ist auch das Hauptanliegen der Initiatoren der Zwischen Palast Nutzung. An erster Stelle steht Amelie Deuflhard, künstlerische Leiterin der Sophiensæle. Der leer stehende Palast im Zentrum ist für sie auch ein Verweis auf das Versagen von Stadtplanung und Sozialpolitik; nicht zuletzt deshalb soll er geschliffen werden. Seine Bespielung wird damit auch zu einer Geste, dem Auseinanderklaffen der Stadt in Zonen des Wohlstands und der sozialen Einbrüche zu trotzen.

Die Gegner der Zwischennutzung waren zahlreich. Antje Vollmer, Wolfgang Thierse, Angela Merkel – wem der schnellstmögliche Abriss am Herzen liegt, will vorher keine Neuinterpretation des Gebäudes. Nachdem der Verein Zwischen Palast Nutzung der Bundesvermögensverwaltung, die Eigentümer des Palasts ist, im vergangenen Jahr kurze Öffnungsstunden für Führungen abgetrotzt hatte, standen plötzlich auch andere Interessen auf der Matte. Eine Event-Agentur stellte die Nachahmung der Terrakotta-Krieger Chinas aus, und der Bund der Deutschen Industrie hielt in der nackten Ruine seine Jahrestagung ab. Da hatte auch Gerhard Schröder seinen ersten Auftritt in der symbolträchtigen Kulisse. Seitdem gilt die historische Kontaminierung der Architektur als bearbeitungsfähig.

Die Eröffnung als Volkspalast war ein entspannter Triumph. Vor dem Eingang warteten Limousinen, die die Besucher einmal um den Platz fuhren und dann vor einem roten Teppich wieder ausspuckten. Im Inneren blinkte ein wachsendes Heer von mitgebrachten Stehlampen, eine Referenz an „Erichs Lampenladen“ und den Schein des Sozialismus als erfülltes Paradies, den der Palast der Republik mit seiner futuristischen Einrichtung ausgestrahlt hatte. Es gab kleine Wiesen für Gitarrenspieler und das politische Lied und Radios mit Hörspielen, die aus dem Bild politischer „Linientreue“ eine Anleitung zur Wahrnehmung des Raums längs einer Linie machten. Doch alle diese Rituale und Performances waren nicht mehr als Fußnoten zum eigentlichen Ereignis, einfach an diesem Ort zu sein. Die architektonische Hülle blieb der Hauptdarsteller, entleert und von neuen Texten noch nicht überschrieben.