BEIM ZAHNERSATZ MUSS DIE SPD IHREN KONSENS MIT DER UNION BRECHEN : Grundsatzfrage Gebiss
Zähne sind so schön symbolisch. Schon in Sigmund Freuds Traumdeutung spielt Zahnausfall eine gewisse Rolle. Dass der Status der Menschen nicht an den Zähnen zu erkennen sein soll, ist zudem ein altes Wahlversprechen der Sozialdemokraten. Und neuerdings steht in allen möglichen Wochenmagazinen, der Zustand des Gebisses spiele im zwischenmenschlichen Erstkontakt mindestens eine solche Rolle wie die Augen. Kein Wunder also, dass in der Gesundheitspolitik der Zahnersatz wichtiger ist, als sein Kostenanteil von 0,4 Prozent vermuten lässt.
Auch in der aktuellen Debatte um die Extraversicherung des Zahnersatzes geht es nur vordergründig um die Kosten der Bürokratie. Irgendwelchen gut bezahlten Verwaltungsfachleuten mit Betonarbeitsplatz – sei es bei den Kassen, den Rentenversicherern oder sonstwo – wird die Bedienung einer neuen Software schon zuzumuten sein. Es geht auch um mehr als das Inkassorisiko der Krankenkassen, die eventuell unbezahlten Beiträgen hinterherlaufen müssten.
Nein, Regierung wie Opposition haben die Zahnersatzversicherung mit neuem symbolischem Ballast beladen. Der CDU-Chefin Angela Merkel gilt die Versicherung zu einem Fixpreis als Testlauf für ihre Kopfpauschale. Wenn das Volk es in Ordnung findet, dass alle das Gleiche für Kronen, Brücken und dritte Zähne zahlen – warum sollte es nicht auch in Ordnung finden, dass alle das Gleiche für Diabetes, Hüftgelenk und Depression zahlen? Die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt setzt nun dagegen, dass es fairer sei, wenn die 500-Euro-Rentnerin bloß 1 Euro für den Zahnersatz zahlt und der Gutverdiener 7 Euro.
Auf diese Weise knüpfen SPD wie CDU ans Gebiss die Grundsatzfrage, ob Gesundheit nach Einkommen oder nach Köpfen bezahlt werden soll. Genau das ist der Grund, warum Angela Merkel nur sehr schwer von ihrer Mini-Kopfpauschale für den Zahnersatz herunterkommen wird. Und wenn der ganze Rest der Bevölkerung dies nur schlicht angemessen und richtig fände: In der Union gälte Merkel als Verliererin, das Projekt Kopfpauschale wäre mit einem Fehlstart belastet. Horst Seehofer, Ex-Gesundheitsminister von der CSU und in Gesundheitsdingen mit Merkels CDU verfeindet, wird als Erster genüsslich vordeklinieren, warum übrigens auch die große Kopfpauschale ein bürokratisches Monster ist.
All dies will Merkel vermutlich nicht erleben. Wenn die SPD den Zahnersatz zurückerobern will, muss sie den Konsens mit der Union brechen. So viel Verrat muss sein. ULRIKE WINKELMANN