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Archiv-Artikel

Offizierssohn und Gentleman

Im Berliner Four Seasons Hotel stellte der legendäre Feuilletonist, Literaturkritiker und Essayist Fritz J. Raddatz seine Memoiren vor. Sein Lobredner Frank Schirrmacher zeigte sich vor allem neidisch

von SUSANNE MESSMER

Was für ein Ambiente, in das der Propyläen Verlag zur Buchpräsentation lädt: Allein diese Kronleuchter im Four Seasons Hotel in der Berliner Charlottenstraße – sie passen hervorragend zur glanzvollen Erscheinung des Fritz J. Raddatz. Er nämlich wird hier und heute seine „Erinnerungen“ vorstellen, ein dickes Buch mit dem viel versprechenden Titel „Unruhestifter“, das dieser Tage erscheint und in dem man schon auf den ersten Seiten Unglaubliches zu lesen bekommt: zum Beispiel wie Raddatz, gerade mal zwölf Jahre alt, vom Vater, dem „Herrn Korrekt“, ins elterliche Schlafzimmer geholt wird, damit er vor dessen Augen mit der Stiefmutter schläft.

Fritz J. Raddatz, Jahrgang 1931, ist vielleicht einer der ersten und letzten linken Dandys und Gentlemen, die es hierzulande je gab und geben wird. Seine wirre Frisur, seine ausladenden Handbewegungen: ganz großer Auftritt. Ganz großes Leben: Der manische Feuilletonist, Literaturkritiker, Essayist und Romancier war in den Fünfzigerjahren stellvertretender Cheflektor beim Staatsverlag Volk und Welt, verließ dann aber die DDR und setzte in den Sechzigerjahren im Rowohlt Verlag und als Feuilletonchef der Zeit 1977–1985 eine Literatur durch, die an den Experimenten der literarischen Moderne weiterschrieb, Autoren wie Hubert Fichte, Walter Kempowski und Elfriede Jelinek. Damit war er der wichtigste Kontrahent der konservativen Linie Marcel Reich-Ranickis im Feuilleton der FAZ – ein Umstand, der sich zum zeitfüllendsten Gesprächsthema der Buchpräsentation aufschwingt.

Auf dem Podium ist nämlich niemand anderes als der frühere Literaturchef und jetzige Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, geladen, ein paar einleitende Worte zu verlieren. Er würde es ja verkraften, sagt er, dass nicht er selbst im Register von „Unruhestifter“ auftauche, schließlich habe er gerade erst bei der FAZ angefangen, als Raddatz bei der Zeit aufgehört habe. Aber dass Reich-Ranicki fehle, das sei nun wirklich unverzeihlich. Raddatz kontert trocken wie schlagend: „Ich wollte mich einfach auf die beschränken, die wesentlichen intellektuellen Einfluss auf mich hatten.“

Das Lustigste an dieser Veranstaltung ist aber wohl, wie ungeheuer fad und grau der mächtige und gefürchtete Schirrmacher neben dem schillernden, aber auch spinnerten, größenwahnsinnigen und deshalb oft abgestürzten Fritz R. Raddatz ausschaut. Oft wirkt er in seiner Rede auf Raddatz wie von Neid zerfressen: wie er davon berichtet, dass Raddatz unfassbar reich sei, wie nobel ihm einmal das Frühstück in seiner Villa kredenzt worden sei, ob von ihm selbst oder von einem Butler, daran könne er sich freilich nicht mehr erinnern – „von einem Mädchen mit einer weißen Haube“, wirft Raddatz albern kichernd ein.

Missgünstig auch geradezu, wie Schirrmacher von der „Wagnissphäre der Siebziger- und Achtzigerjahre“ spricht, in der Intellektuelle noch eine Stimme hatten, in der sie sich noch in einer Art und Weise stilisieren konnten, für die man heute ausgelacht würde. „Er war die letzte Erscheinungsform von internationalem Jetset im Feuilleton“, bauchpinselt er Raddatz. In der Tat: dass Schirrmacher sich wie Raddatz eine solche Frisur stehen ließe, dazu Porsche führe und seinen Redakteuren nach Schicht Champagner ausgäbe – schwer vorstellbar. Die allergrößte Blöße gibt sich Herr Schirrmacher allerdings, als er davon spricht, wie sehr ihm die Memoiren von Fritz J. Raddatz eine Lektion in Bescheidenheit gewesen sei. „Man sollte sich nie mit der Institution verwechseln, für die man schreibt“, sagt er und meint damit das schwindende Interesse an Fritz J. Raddatz, als er die Zeit verließ, meint damit aber vielleicht auch ein bisschen sich selbst.