: Die schönste Nebensache der Welt
betr.: „Rudi Völler hält die ARD für ‚Scheißdreck‘ “ taz vom 8. 9. 03
Die Sprachkultur des Coachs harmonisierte eloquent mit der Spielkultur der Mannschaft, die eine dem Nationalspielhonorar gerechte Leistung ablieferte, derweil der Teamchef hoffen darf auf Titel, Preise und Bundesverdienstkreuz am Schnürsenkel. Und die deutsche Nation identifiziert sich.
NORBERT SCHAAF, Koblenz
Was wir (die Öffentlichkeit) erwarten, ist dass ihr einen Fußball spielt, der eurem Gehalt und euren Prämien angemessen ist. Okay, ihr seid also nicht besser als Island. Warum bekommt ihr dann das x-fache an Gehalt und Prämien? Wessen Anspruchsdenken ist denn hier eigentlich zu hoch? Wenn wir jetzt schon so weit sind und sagen, dass unsere Nationalspieler einfach nicht besser spielen können, in Ordnung. Aber dann passt bitte schön auch das Gehalt und die Prämien entsprechend an.
[…] Wir leben in einer Welt, in der es über vier Millionen Arbeitslose gibt. Arbeitslose, die zum größten Teil ihre Leistungen erbracht haben und trotzdem entlassen wurden. […]
NORA FASSBENDER, Frankfurt/Main
… der „Wutanfall“ war gut getimt und recht gut gespielt, zumindest besser als weiland der von Roland Koch. Rudi nutzte die Gunst der Stunde, um sich für vakante höhere Aufgaben zu empfehlen. Endlich mal einer, der sagt, was er denkt und fühlt, sogar im Fernsehen, das wär doch was, jedenfalls – so einen Bundespräsidenten hatten wir noch nie … PAUL PAULSEN, Groß-Umstadt
Psychologisch grandios, Herr Völler! Eigentlich war die Zeit gekommen, Ruuudii für den Mist verantwortlich zu machen, den die elf auf dem Platz zeigen. Aber Rudi stellte sich so breit und lautstark vor die Mannschaft, dass ihn keiner mehr sah. Brauchen wir eine neue Mannschaft – oder einen gelernten Trainer? Rudi Völler, Sie waren gut in der Not. Aber vielleicht ist es Zeit …!
M. GOEDEL, Unna
Dies ist der beste Kommentar zu diesem Vorfall, den ich gelesen habe.
Viele Journalisten/Kommentatoren/Altprofis sind einfach zu sehr von sich eingenommen und haben die Fußballweisheit mit Löffeln gefressen. Dass andere große Fußballnationen auch Probleme haben und in der Vergangenheit immer wieder hatten, will keiner sehen. Wie viele EM- oder WM-Endrunden hat z. B. Frankreich erst gar nicht erreicht? […] HOLGER KIRCHER, Hanau
betr.: „Echte Gefühle“
Dieser Wutausbruch passt wirklich nicht schlecht in die Landschaft. Denn: Die Deutschen müssen die Helden sein. Wir haben das beste Sozialsystem, das beste Gesundheitswesen, das beste Bildungssystem, die beste Industriequalität und den besten Fußball sowieso usw. usf. Und diese Vorstellung wird von Journaille und Politik regelmäßig bedient. Wenn die Realität sie dann einholt, sind sie entsetzt und verfallen ins Gegenteil: Alles wird noch mieser gemacht als es ist.
In Deutschland kann man sich nicht damit anfreunden, dass andere besser sein könnten als wir. Ich erinnere mich noch daran, wie die Russen in abgerissenen Uniformen und ihren Panjewagen einmarschierten und die alten Leute staunten: „Die haben uns besiegt!“ Und ein etwas aktuelleres Beispiel: Heute verkündete Frau Bulmahn, dass Deutschlands Bildungswesen in zehn Jahren „wieder Weltspitze“ sein wird. Drunter tun sie es nie!
DIETER WEHKING, Minden
betr.: „SPD-Präsidium auf Rudis Seite“, taz vom 9. 9. 03
Da stellte zunächst am Samstag Rudi seine Weltsicht dar. Dann hielt George W. Bush am Sonntag seine Rede an die Nation, in der er ehemalige Gegner des völkerrechtswidrigen Irakkrieges dazu aufforderte, endlich die Rechnung zu bezahlen. Dann ist er uns auch nicht mehr böse, dass wir mit unseren Bedenken Recht behalten haben. Am Montag schließlich erklärte Schröder: „Wenn ich könnte und dürfte, wie ich gelegentlich mal wollte, dann würden wir uns alle freuen.“
Diese Kanzleräußerung lässt meines Erachtens an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Dennoch wurde in den Medien nur die monokausale Beziehung zu Bundesrudis Lamento gesehen. In Wirklichkeit waren diese scheinbar so verschwiemelten Worte eine geradezu kongeniale Verbindung zwischen Völler und Bush. Deshalb wieder einmal: Danke Kanzler. Auch ich kann Bushs Scheißdreck nicht mehr hören. Und der kriegt auch noch Geld dafür. RALF FRÜHWIRT
Na toll, die taz im Mainstream des so genannten Sports angekommen. […] Ist aber auch so was von schade, dass die Jahre der Liebediener- und Speichelleckerei durch das Privat-TV wg. Quote und Werbeeinnahmen vorbei ist. Eine gute Gelegenheit für unsere Politiker, die angeblich „vierte Gewalt“ im Staate, über den Umweg von Verständnis und Streicheleinheiten für den Arbeitersohn und Teamchef, die bis auf Christiansen nicht sonderlich willfährige öffentlich-rechtliche ARD ins Knie zu schießen. […] Es gehört schon Chuzpe dazu, in der Fäkaliensprache noch Parallelen zum Facharbeiter, der ehrliche Arbeit abliefert, in dem vom Ausland gar nicht so geschmähten Gesundheitssystem und dem in der Kohl-Ära vor die Wand gefahrenen Standort Deutschland zu erkennen. HERMANN W. JUNKER, Paderborn
betr.: „Berti, hau sie alle weg!“, taz vom 10. 9.03
Was ein Spaß, dass sich die komplette Medienwelt für zwei Tage nur und ausschließlich mit Scheiß-Fußball auseinander setzt. Auch wenn es weitaus wichtigere Dinge zu bekakeln gibt. Ich bin wieder einmal begeistert, wie deutsch das Volk ist und was die Medienmacher so anstellen, damit das auch so bleibt. Ich stell mir schon mal die Weltmeisterschaft vor … wäääh … ich glaub, da hau ich lieber ab. CHRIS HEUTGELB, Hamburg
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.