Was heißt hier Anlieger?

Zwei Hausbesitzer der Martinistraße sollten für die Umgestaltung und Aufwertung der Langenstraße zahlen. Das geht zu weit, fand das Verwaltungsgericht – zahlen müssen sie aber dennoch. „Erschließungsbeitragsgesetz“ heißt die rechtliche Grundlage

Müssen nun alle Hausbesitzer fürchten, bei Aufwertungen ihrer Straße zur Kasse gebeten zu werden? Keineswegs, beruhigt das Bauressort.

Bremen taz ■ Die meisten haben brav bezahlt, als vor Jahren die Langenstraße und die Kirchenstraße umgebaut wurden. Fußgänger sollten den Vortritt haben in diesen Straßenzügen, die Fußgängerzone der City sollte hinter dem Kaufhaus von Peek und Cloppenburg und für die Touristen, die vom Marktplatz zur Weser schlendern wollen, erweitert werden. Nach dem Bremer Erschließungsbeitragsgesetz müssen Immobilienbesitzer, deren Erschließungsstraße wesentlich „aufgewertet“ wird, einen gewissen Anteil der Kosten übernehmen. In Bremen sind die zu übernehmenden Kosten geringer als in anderen Städten. Die Bremer Tageszeitungs AG (Weser Kurier) als großer Anlieger der Langenstraße zahlte 32.000 Euro, andere zahlten mal 4.000 Euro, mal 8.000 Euro.

In der vergangenen Woche klagten nun drei Hausbesitzer, die für sich keinerlei „Aufwertung“ erkennen konnten, gegen die Bescheide. Der Prozess führte bisher zu zwei überraschenden Ergebnissen: Erstens ist die Berechnungsgrundlage, nach der die anderen Hausbesitzer zahlten, nicht angemessen, meinte Verwaltungsrichter Ingo Kramer. Wenn die drei klagenden Hausbesitzer nun zahlen müssen, dann nach einem anderen Schüssel. Und zahlen müssen sie nach der vorläufigen rechtlichen Bewertung des Gerichtes.

Die Besitzer der Immobilien Martinistraße 21 und 25 können das nicht recht einsehen. Was haben sie mit der Aufwertung der Langenstraße zu tun? In diesem Argument konnte ihnen das Gericht folgen: Nichts haben sie damit zu tun. Wenn die Stadt zwei Straßenzüge verkehrsberuhigt, muss sie die Abschnitte bei der Berechnung der anteiligen Gebühren aufteilen. Umgekehrt hätten die Anlieger der Langenstraße mit den Gebühren für die Kirchenstraße nichts zu tun gehabt – aber nun haben sie gezahlt, die Bescheide sind rechtskräftig und nicht mehr anzufechten. Aber bei denen, die eine Klage eingereicht haben, muss das Bauressort vollkommen neu berechnen, meinte der Richter. Aber warum muss jemand, der ein Haus in der Martinistraße besitzt, für die Verbesserung der Kirchenstraße bezahlen?

Juristisch scheint der Sachverhalt schlicht: Über die Kirchenstraße kommen die PKWs auf den rückwärtigen Parkplatz oder gar in die Tiefgarage der beiden Häuser, deren Vorderseite zur Martinistraße zeigt. Zwar wird der Zugang für PKWs durch die Umgestaltung zur Fußgängerzone keinesfalls verbessert, eher im Gegenteil, aber für die rechtliche Argumentation spielt das keine Rolle: Wenn man mit einem Auto das Grundstück erreichen kann, gilt dies als „Erschließung“. Und wenn ein Grundstück „erschlossen“ ist durch eine Straße, müssen die Eigentümer bei einer gravierenden baulichen Aufwertung Kosten mittragen. Besonders grotesk erscheint das bei den Besitzern der Immobilienzeile Böttcherstraße. 41.000 Euro sollten die zahlen, obwohl die Grundstücke an keiner Stelle an die Kirchenstraße angrenzen.

Nicht Anlieger, aber „Hinterlieger“ seien das, fand das Bauressort und das Gericht folgte der Argumentation: Ein zwei Meter breiter Gang führe als Flucht- und Feuerwehr-Weg zum Spielcasino, außerdem kämen die Lieferwagen von der Kirchenstraße über den Hinterhof – eindeutig sind diese Grundstücke der Böttcherstraße durch die Kirchenstraße „erschlossen“. Auch hier galt dann die Argumentation, dass ja nur Autos diese Zufahrt nehmen, die von der Fußgänger-Zone höchste Nachteile haben, nicht. Bei der „Aufwertung“ der Straße geht es nicht darum, ob sie für Fußgänger oder PKWs aufgewertet wurde. Die Berechnungen der Beiträge sind allerdings derart kompliziert, dass noch offen ist, ob die Böttcherstraßen-Eigentümer nach den Vorgaben mehr oder weniger bezahlen müssen als die 41.000 Euro, die in der ersten Rechnung des Bauressorts standen.

Müssen nun alle Hausbesitzer fürchten, bei Aufwertungen ihrer Straße zur Kasse gebeten zu werden? Keineswegs, beruhigt Hans-Jürgen Behnken von der Rechtsabteilung des Bauressorts. Das Erschließungsbeitrags-Gesetz wurde eingeführt, als die Sögestraße zur Fußgängerzone gemacht wurde – Anfang der 70er Jahre. Bei der Umgestaltung der Obernstraße und der Knochenhauerstraße kam es in Anwendung, nicht bei normalen Verbesserungen des Straßenzustandes. kawe