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Archiv-Artikel

Wurstdose und Löffelstellung

Familien und andere Angelegenheiten: Joachim Meyerhoff inszeniert am Gorki Theater aus dem Geist der Nestwärme, des Alltags und der Selbstrettung. Ein Porträt des Regisseurs und Schauspielers

Flache Dramaturgien, sagt Meyerhoff, entsprechen seiner Empfindung der Welt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

„Noch da, oder schon wieder?“ So wird in der Kantine des Maxim Gorki Theaters Joachim Meyerhoff begrüßt, Montagmorgen um zehn, nach seiner Premiere am Sonntag. Erwartungsgemäß hat ein Regisseur dann einen Kater und Ringe unter den Augen vorzuweisen. Meyerhoff aber sieht wach, topfit und vergnügt aus, als er mit Rucksack zum Interview einläuft. Danach will er gleich zum Zug nach Hamburg und freut sich auf seine dreijährige Tochter.

„Ich bin ein Familienmensch“, sagt Meyerhoff, und das ist der erste Punkt, an dem er sich mit dem „Fabian“ von Erich Kästner, den er im Gorki Theater auf die Bühne gebracht, gut versteht. Fabian und seine Mutter zeigt er als einvernehmliches Liebespaar. Keiner von beiden zweifelt daran, dass sich Zuneigung in Wurstdosen ausdrücken kann, die die Mutter dem Sohn mitbringt. Theater aus der Nestwärme, das liegt Meyerhoff: Für eine Liebesszene ziehen sich nicht nur Fabian und Cornelia, sondern alle fünfzehn Mitglieder des Ensembles aus. Wie die Löffelchen legen sie sich hin. Und drehen sich unruhig und schnattern vor Kälte mit den Füßen wie ein Kollektivkörper.

Das Ensemble als Familie: Fünfzehn Leute, fast alle Generationen, sind in Meyerhoffs „Fabian“ ständig auf der Bühne, schauen sich zu, reichen Gesten in langen Bewegungsketten weiter und erzeugen wechselnde Schauplätze allein durch die Verabredung neuer Spielregeln. Dass Theater aber auch ein abweisender Ort sein kann, der für Hinzugekommene keine Initiationsriten weiß, hat Meyerhoff auch schon erfahren. Ein Jahr lang war er am Maxim Gorki Theater als Schauspieler engagiert, spielte in fünf Produktionen und fühlte sich „immer noch nicht zum Kern, zu den Wurzeln des Hauses“ vorgedrungen. Da machte er „Sauna“, ein Stück wie ein Familienalbum über langjährige Ensemblemitglieder und ihre Beziehung zum Theater. „Heute ist das fast ausgestorben, dass man ein Leben lang an ein Haus gebunden ist“, weiß Meyerhoff. In „Sauna“ hat er dieser Theatervergangenheit ein lebendiges Denkmal gesetzt, voll mit leisem Witz.

Der Schauplatz ist die ehemalige Sauna des Theaters. Während sechs Schauspieler und der letzte Musiker, der vom abgewickelten Orchester übrig blieb, auf den Anstieg der Temperaturen warten, passiert wenig. Einer spielt seine Applaus-Sammlung vor, einer erzählt, wie er durch seine erste Rolle mit Zigarette zum Raucher wurde und der Kampf mit dem Nikotin zum Lebensthema. „Sauna“ ist langsam, durchsetzt von langen Pausen. Es dauert, bis etwas passiert. Solche „flachen Dramaturgien“, sagt Meyerhoff, „entsprechen meiner Empfindung der Welt.“

„Sauna“, das im Februar diesen Jahres Premiere hatte, war eine ungewöhnliche Produktion, weil sie die Spielweise von Performance-Projekten, die in ihrem Hungern nach Alltag Orte außerhalb des Theaters besetzen und daraus ihr Thema generieren, mitten im Herzen eines Stadttheaters fortsetzte. Zwei sehr unterschiedliche Theaterkonzepte trafen da aufeinander und verbündeten sich umstandslos. Seitdem wird von Meyerhoff einiges erwartet.

Bevor er als Schauspieler ans Gorki Theater kam, hat Joachim Meyerhoff lange in Köln gearbeitet. Günter Krämer war dort Intendant und ein Regisseur mit gefürchtetem Ruf von kopflastigen Ästhetiken. Meyerhoff spielte in seiner Regie eine Büchner-Trilogie, zuletzt die Rollen von Leonce und von Lena im gleichnamigen Stück. Auf diese Erfahrung der Möglichkeit, einen Stoff um und um zu wenden und von einer anderen Seite darauf zu schauen, blickt er noch heute wie auf ein Geschenk zurück. „Als Künstler war Krämer ein Ereignis“, verteidigt er den Vielgescholtenen und bekennt: „Ich frag’ mich oft, was hätte Krämer jetzt gemacht.“

Selbst die Regie in die Hand zu nehmen, beschreibt der 36-Jährige als eine Art „Selbstrettung“: „Immer, wenn ich unglücklich war mit meinen Rollen, brauchte ich ein eigenes Projekt als Überprüfung, was ich vom Theater will. Das waren teilweise auch autistische Selbstversuche, in sechs Wochen allein in einem kleinen Raum erarbeitet.“ Herausgekommen aber sind Spielweisen, die in den Figuren wie in den Schauspielern den Menschen sichtbar machen und nah an das Vertraute anschließen. Drei seiner Regie-Arbeiten stehen jetzt im Repertoire des Maxim Gorki Theaters, während er als Darsteller an das Schauspielhaus Hamburg gewechselt ist.

Als Regisseur bevorzugt er die Bearbeitung von Romanen: Da ist der Spielraum der Ausdeutung so viel größer, aber ebenso die Gefahr, sich im Stoff zu verlieren. Kästners „Fabian“, 1931 veröffentlicht, zum Beispiel ist überwältigend in den Parallelen zur Gegenwart. Ständig ist von fünf Millionen Arbeitslosen die Rede und einem Kanzler, der „Optimismus ist Pflicht“ ausgibt. Die Schauplätze, an denen die zynische Zuspitzung der Gesellschaft beobachtet wird, sind der Journalismus, die Werbung und die Unterhaltung. Die Lust, mit der das Ensemble Kästners Roman als Einladung zur satirschen Collage annimmt, ist immer spürbar. Leider verliert man dabei öfters Fabian, der wie ein Zuschauer am Rand steht, aus den Augen und vergisst, sich für ihn zu interessieren.

Gerade dieser Rückzug in die Rolle des Beobachters, der sich zwar um alles Sorgen macht, aber Handeln für vergeblich hält, hat Meyerhoff angezogen. Fabians Rückzug liegt ihm genauso nahe wie der Einsatz seines Gegenspieler Labude, der der Vergeblichkeit trotzen will. „Moralisch zu handeln, Verantwortung übernehmen, aktiv sein, kämpfen, politisch zu werden – das wollen ja viele Leute, aber wie das aussehen kann, das wird immer schwerer.“ Er selbst aber zweifelt nicht, mit dem Theater den Ort gefunden zu haben, an dem er handeln will.

„Fabian“ am 18. 9., 19.30 Uhr, „Sauna“ am 20. 9., 20 Uhr, Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte