: Der Bestsellerautor soll draußen bleiben
Nicht wir lesen den Horror, der Horror liest uns: Stephen King bekommt einen Buchpreis und verursacht Diskussionen
Sein Roman „Der Buick“ liegt derzeit an Berliner U-Bahn-Kiosken aus, zwischen Groschenheften und Schokoriegeln. Außerdem ist der Autor Stephen King in den USA gerade mit dem National Book Award ausgezeichnet worden, einem wichtigen Literaturpreis. Das, was dabei derzeit Wellen schlägt, lässt sich zusammenfassen in der Frage, ob diese beiden Meldungen wirklich zusammengehen. Durfte ein Bestsellerautor wie King so einen ehrenwerten Preis kriegen? Die Kritiker der Entscheidung beißen sich jetzt an der Einschätzung von Stephan Kings literarischen Qualitäten fest. Die Verteidiger zielen eher aufs Grundsätzliche.
Zu den schärfsten Kritikern zählt Harold Bloom, was man sich hätte denken können, denn der Yale-Literaturprofessor ist ein vehementer Vertreter eines literarischen Kanons, aus dem er Stephen King also weiterhin heraushalten möchte: „Dass sie glauben konnten, in seinen Werken stecke auch nur ein bisschen literarischer Wert, ästhetische Errungenschaft oder erfinderische Intelligenz, bezeugt einfach ihre eigene Dummheit“, kritisierte er die Preisjury in der New York Times. Hübsche Einschüchterungsgeste. Wer nicht erkennt, dass solche Bücher Mist sind, ist dumm und sollte im Literaturbetrieb gar nicht mitreden dürfen. Seinen berühmten Satz „Nicht wir lesen ihn, er liest uns“ will Bloom eben für Shakespeare reserviert halten. Seltsam, mit welcher Vehemenz er die Idee abwehrt, dass er auch für Stephen King, den Autor des Vorstadt-Horrors, gelten könnte. Offenbar wittert er in der Entscheidung eine Beschmutzung seines Hausheiligen Shakespeare. Aber: Nicht wir lesen den Horror, der Horror liest uns – kann man doch mal drüber nachdenken!
Neil Baldwin, Sprecher der den Preis auslobenden Nationalen Buchstiftung der USA, verteidigt King dagegen mit einem Leslie Fiedler’schen Bekenntnis zum Egalitären: „Wir müssen unsere Vorstellung davon erweitern, was Literatur ist. Wir sollten aufgeschlossen sein, anstatt uns darüber Gedanken zu machen, was passt und was nicht.“
Damit ist eine fast 40-jährige Konstellation komplettiert, die ein zähes Nachleben führt: emphatische Erweiterungsgesten, die auf das Einreißen der Grenze zwischen E- und U-Kultur setzen, auf der einen, ebenso emphatische Hege des Kanons auf der anderen Seite. Fragt sich, warum es so schwer ist, aus dieser Konstellation herauszufinden. Ehrlich gesagt, ist das nicht die frischeste Debatte. Und der Preis an King geht natürlich voll in Ordnung.
DIRK KNIPPHALS