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Archiv-Artikel

Ein Kuhversteher zum Leasen

Wenn Bauern in Urlaub fahren, können sie sich Henrik Blok mieten: Der 32-Jährige melkt und füttert ihre Kühe, betreut Neugeborene und auch die Nachgeburt. Die schwarz-weißen Tiere sind sein Leben

Seine Freundin nennt ihn Kuhflüsterer – andere halten ihn für verrückt

Aus WITZHELDEN VERENA WEIßE

Sie ist bockig und windet sich wie ein Aal. Henk Blok hat Geduld, viel Geduld. Immer wieder versucht der gebürtige Holländer, die Kuh in die Klauenbox zu lotsen. Es gelingt ihm nicht. „Sie will nicht so, wie ich will und will nicht in die Box.“ Er holt einen langen Strick aus einem Raum in der Scheune, legt ihn ihr um den Hals und zieht sie in die Klauenbox. Klauen schneiden ist angesagt. Und das braucht die Kuh, damit sie nicht lahmt.

Blok ist hochgewachsen und muskulös. Er wirkt älter als seine 32 Jahre. Er trägt Jeans, ein rotes Polo-Shirt mit Firmenaufschrift, dunkelgrüne Gummistiefel, die bereits ein bisschen vom Matsch bespritzt sind. Das gehört zum Job und macht ihm nichts aus. Langsam geht er um die Klauenbox herum und zieht den Bauchgurt oberhalb des Bauches der Kuh fest. Sie hält still. „Es gibt Kühe, die sich hinlegen, wenn man ein Bein hoch nimmt. Darum ist der Gurt wichtig.“

Henk Blok hat einen bundesweiten „Kuh-Service“. Der 32-Jährige, der als Verwalter und Betriebsleiter in mehreren Milchviehbetrieben tätig war, kümmert sich um Höfe, wenn Landwirte verreisen, krank sind oder saisonbedingt Personalengpässe herrschen. Er bietet einen Allround-Service: Melken, Füttern, Geburtsbetreuung und Versorgung inklusive Nachgeburt, Kälber enthornen, Kühe scheren und Klauen schneiden. „Die Arbeit hält flexibel, weil ich mich immer wieder auf einen neuen Betrieb einstellen muss.“ Die Landwirte sind dankbar für diesen Service und vertrauen ihm ihren Hof an, obwohl sie Henk Blok oft erst kurze Zeit kennen. „Ich möchte, dass sie mit einem guten Gefühl in Urlaub fahren und mit einem guten zurückkommen.“ Bisher war der Vertretungslandwirt beispielsweise auf Höfen in Limburg, Jülich, Gießen, Mönchengladbach und in der Nähe von Frankfurt – meistens für eine Woche.

Die bockige Kuh gehört zum Betrieb von Klaus Tiedmann. Ein Betrieb mit etwa 80 Kühen in Witzhelden im Bergischen. Fünf Tage hilft Blok dort aus – zum zehnten Mal insgesamt. Die Tiedmanns sind zufrieden. „Er macht das schon sehr gut. Eine Kuh fehlt jedenfalls bisher noch nicht“, sagt Kurt Tiedmann. Tiedmann und seine Frau Ute sind froh, dass sie Henk Blok haben und er aushilft, wenn Sohnemann verreist ist. Denn: „Wir melken nicht mehr selbst.“

Seine Wohnung in Witzhelden, ein idyllischer Ort im Bergischen Land, ähnelt einem Puppenhaus, nur, dass darin keine Puppen, sondern verschiedenartige Kühe stehen, hängen, sitzen, liegen – aus Porzellan, Holz, Pappe. Die Holzkuh an der Schranktür heißt „Ruth“, die andere, die an der Tür einen Schrank darüber baumelt, hört auf den Namen „Henk“. Eine mittelgroße Schwarz-Weiße aus Pappe steht in der einen Ecke der Wohnung, eine kleinere aus Pappe sitzt auf dem Geländer. Geschenke zum 30. Geburtstag. Tassen mit Kuhmotiven im Küchenschrank, viele kleine Porzellankühe sieht man im Regal. Henk Blok ist auf die Kuh gekommen, mehr noch: Er liebt Kühe, die schwarz-weißen Tiere sind sein Leben. Seine Freundin nennt ihn liebevoll den „Kühflüsterer“, weil er genau merkt, wenn es einer Kuh nicht gut geht und genau vorher sehen kann, was ihr fehlt. Andere halten ihn für verrückt, sagt der 32-Jährige. Die Geschichten, die er erzählt, sprechen für sich und ihn. Auch die von der Kuh, die zu einer Schau geführt werden sollte. Der Landwirt meldete das Tier wieder ab, weil es nicht laufen wollte. „Kuhflüsterer“ Blok bat ihn um die Kuh, verbrachte einige Stunden in ihrer Box, sprach ihr gut zu. Anschließend lief sie wieder. Der Landwirt meldete sie erneut bei der Ausstellung an, die Kuh siegte.

Henk Blok wollte seine Liebe unbedingt zum Beruf machen und sein eigener Herr sein. Seit dem zehnten Lebensjahr faszinieren ihn Kühe, da durfte er zum ersten Mal eine melken. Von da an stand für ihn fest: „Ich werde Landwirt.“ Und von diesem Ziel ließ Henk Blok sich nicht mehr abbringen – auch nicht von seinem Papa, der Sohnemann gerne in einem anderen Job gesehen hätte. Mit zwölf Jahren besuchte er die untere, vier Jahre später die mittlere Landwirtschaftsschule in Holland. Studieren wollte er nicht, lieber „gleich ran an die Kühe“. Gleich in seinem ersten Betrieb in der Nähe von Siegburg, den er sieben Monate vertretungsweise leitete, durfte er ran. 50 Kühe betreute Blok. In seinem nächsten Betrieb in Witzhelden, in dem er neun Jahre lang arbeitete, waren es 160 Schwarz-Bunte. Blok kannte jede Kuh, nicht jede mit Namen, aber zumindest mit Nummer. „Die 115 war so schmusig. Das Kalb hab‘ ich nach meiner Mutter Hennie benannt.“ Sein großer Traum ist, irgendwann einen eigenen Hof zu pachten mit bis zu 100 Kühen: „Dann möchte ich mit der Milchleistung ganz oben stehen.“

Die Kuh hält still, der Brustgurt sitzt immer noch stramm. Blok beugt sich über ihren linken Vorderhuf und schneidet mit dem Klauenmesser die Hornhaut weg. „Die hat hier etwas sitzen, hier drunter, wahrscheinlich Eiter“, sagt er und zeigt auf die Stelle am Huf. Er schabt die Hornhaut immer weiter ab, bis Blut heraus läuft. „Das Blut muss raus und die Flüssigkeit auch.“ Fertig – Kuh und Blok haben es geschafft. „So, Mädchen, jetzt kannst du wieder druckfrei laufen“, sagt er liebevoll und gibt ihr dabei einen leichten Klapps auf den Hintern. Er redet immer mit seinen Kühen. „Ich kann auch sauer werden, wenn sie nicht so will wie ich.“ Aber jetzt gibt es keinen Grund mehr, sauer zu sein. Die Arbeit ist getan und die Kuh ist nicht mehr bockig.

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