: Wächterin der Unfreiheit
VON ISOLDE CHARIM
An einem Punkt sind sich alle monotheistischen Religionen von jeher einig: die Unterdrückung der Frauen. Sie alle haben eine eindeutige Vorstellung von der Geschlechterdifferenz. Sie bieten einen ganzen Apparat von Praxen, Ritualen, Texten, Institutionen auf, um diese Differenz aufrecht- und möglichst groß zu halten. Kurzum: Die Geschlechtergrenze bildet die zentrale Linie, um die herum sich eine religiöse Gemeinschaft organisiert. Neu aber ist, dass die Zahl der Fundamentalisten in allen Religionen steigt. Ein Mittel ihrer Abgrenzung: die Kontrolle der Frau wird maximal.
Die religiösen Fundamentalismen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, bieten in dieser Frage vor allem eine „Dramatisierung“ der traditionellen, religiösen Geschlechtsordnung, so der Soziologe Martin Riesebrodt. Diese wird im Fundamentalismus zu einer zentralen Präokkupation. Egal, ob es sich nun um islamischen, jüdischen oder evangelikalen Fundamentalismus handelt, die Obsession besteht darin, Bedeutungen zu fixieren und stillzustellen. Die Geschichte der Religionen ist auch die Geschichte, also die Veränderung der Geschlechterordnung – wie etwa das Vorrücken der Frauen von den Hinterbänken in den vorderen Teil der Kirche oder das Verschwinden des Trennvorhangs in den Synagogen. Fundamentalismus hingegen heißt, Ausschaltung von gesellschaftlichem Wandel und Fixierung der Differenzen – wie die eindeutige Festlegung, was Mann und Frau, was Gläubiger und Ungläubiger, was öffentlich und privat ist. Diese semantische Operation hat einen dreifachen Effekt: Sie markiert ein Terrain der Kontrolle, in deren Zentrum die weibliche Sexualität steht. Zudem kann damit die gesamte Lebensführung religiös aufgeladen werden. Und sie erzielt eine Schließung der religiösen Gemeinschaft, eine Abschottung sowohl gegen den Wandel wie gegen jegliches Außen, das in die Kategorie des Nichtgläubigen gebannt wird.
Die Kontrolle der Frau als Knotenpunkt der gesellschaftlichen Zirkulation ist dabei zentral. Darin sind sich alle Fundamentalisten einig. Verschieden sind nur die Strategien.
Der Ritus kennt keine Frau
Im orthodoxen Judentum ist die Minderwertigkeit der Frau vor allem eine religiöse. Frau ist, was keinen Zugang zur Spiritualität hat. Deshalb danken orthodoxe Männer Gott täglich, dass er sie nicht zu einer Frau gemacht hat. Frauen sind ausgeschlossen von der aktiven Teilnahme am Gottesdienst – ähnlich wie im Islam und im Katholizismus. Sie werden räumlich separiert (je mehr, desto orthodoxer). Die Religion des Buchs sieht keine Talmudstudien für sie vor. Kurzum: Frauen sind im orthodoxen Judentum religiös inexistent. Deshalb zählen sie auch nicht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es braucht zehn Männer für ein öffentliches Gebet. Fehlt einer, kann er nicht durch hundert Frauen ersetzt werden.
Ob ihrer Menstruation gelten Frauen als rituell unrein. Man könnte auch sagen: Sie verkörpern das Verhaftetsein an die Biologie. Diese biologische „Determinierung“ „befreit“ die Frauen von vielen religiösen Pflichten, um ihnen Zeit für nichtreligiöse Dienste, sprich Reproduktionsarbeit, zu geben. Eine gänzlich herkömmliche Einteilung. Eine Besonderheit liegt darin, dass die jüdische Frau ein Recht auf sexuelle Erfüllung hat. Der Mann muss seine Frau regelmäßig befriedigen. Die zentrale Unterdrückung ist also eine geistige.
Dies zeigt sich auch an der speziellen Körperkolonisierung der orthodoxen Frauen. Als das paradigmatische Schönheitsmerkmal der Frau gilt ihr Haar. Verheiratete Frauen tragen deshalb ein Tuch oder eine Perücke. Junge Mädchen hingegen tragen ihr Haar offen. Es geht hier also nicht vorrangig um Keuschheit, sondern um Treue. Diese ist ganz wesentlich, wird doch das Judentum durch die Frau weitergegeben. Das Kind einer jüdischen Frau ist ein Jude – der Vater zählt in diesem Kontext nicht. Deshalb muss der Körper der verheirateten Frau ein sicheres „Gefäß“ sein. Tuch und Perücke markieren das Eigentumsrecht des Mannes an seiner Frau. Die Frau sichert gerade durch ihr biologisches Verhaftetsein die Genealogie. Der weibliche Körper, durch den die Frau in der Gemeinschaft nicht zählt, sichert den Bestand der religiösen Gemeinschaft.
Auch im islamischen Fundamentalismus – exemplarisch dafür ist die Hamas – kommt es zu einer paradoxen Verdoppelung des Frauenkörpers. Er ist realer Körper und Metapher. Der reale Körper unterliegt strengster Kontrolle: Kontrolle der Sexualität, die nur auf die Fortpflanzung fokussiert ist; Kontrolle des männlichen Triebs, der statt westlichem Über-Ich eine Art Outsourcing erfährt: in den Frauenkörper, wo er von den Männern kontrolliert wird. Die Frau verkörpert, was Männer abwehren wollen, die Lust etwa. Wesentliche Strategie des Outsourcings ist die Kleiderordnung. Sie ist ein enormer Eingriff in die Ordnung der Sichtbarkeit. Während die Verhüllung die Zeichen der Weiblichkeit durchzustreichen versucht, erzeugt sie eine eigene Sichtbarkeit. Entfernt der Schleier die Frau als Person aus der Öffentlichkeit, so lässt er sie als Schattenwesen hervortreten.
Zugleich aber fungiert die palästinensische Frau als Reproduzentin des Kollektivs, als wichtigste nationale Ressource. Hier geht der religiöse Fundamentalismus eine Allianz mit dem Nationalismus ein, indem er die Familie als Existenzgarantie der Nation heiligt. Und die Frau wird zum „Behälter der palästinensischen Identität“ (Jungle World).
Keusch an der Front
Zwei Diskurse verdichten sich also in ihrem Körper und erhöhen diesen, indem sie ihn zur Metapher machen. Ihr Körper wird zu einem „Territorium“, das es gegen zionistische Eindringlinge zu verteidigen gilt.
Nun ist aber der Fundamentalismus, so Riesebrodt, nicht einfach ein Rückgriff auf traditionelle Lebensformen, sondern eine Reaktion auf eine Moderne, die die Religion von allen Seiten belagert. Er reproduziert nicht einfach die traditionelle Geschlechterordnung. Es entstehen vielmehr widersprüchliche Szenarien wie jene, wo es Frauen verboten ist, sich frei zu bewegen, sie sich aber im Namen des Islams als Selbstmordattentäterinnen in die Luft sprengen.
Eine solche Widersprüchlichkeit des militanten Fundamentalismus findet man auch bei den Evangelikalen, man denke nur an die erstaunlichste Erscheinung des vergangenen US-Wahlkampfs: Sarah Palin, diese keusche Mutter an vorderster Front; diese Gouverneurin, die die Rolle der nichtberufstätigen Mutter preist und für ein Frauenbild kämpft, das sich direkt aus dem Alten Testament ableitet. Wobei die Bibel in typisch evangelikaler Manier mit der nationalen Erzählung zu einer nationalen Mythologie verquickt wird.
Für sich genommen präsentieren die Evangelikalen keinerlei Überraschung. Sie funktionieren so, wie man es sich vorgestellt: Sie bieten das volle Spektrum von Bigotterie und frömmelnder Keuschheit. Ihre Besonderheit liegt vielmehr darin, dass sie in einem anderen Kontext agieren als etwa die Islamisten. Wenn aber relevant ist, in welchem Umfeld Fundamentalismen operieren, dann sind diese wesentlich polemisch: Die Schließung einer religiösen Gemeinschaft ist immer gegen etwas gerichtet. Im Falle der Evangelikalen ist es eine Gegenbewegung zur Säkularisierung, eine spirituelle Kriegsführung gegen Frauenrechte: Sie richtet sich vor allem gegen das Recht auf Abtreibung und gegen sexuelle Aufklärung an Schulen. Frauen als Wächterinnen ihrer eigenen Unfreiheit – da braucht es zur Unterdrückung nicht mal mehr die Männer.
ISOLDE CHARIM, 50, ist freie Publizistin und lebt in Österreich umzingelt von Fundamentalismen aller Art