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Archiv-Artikel

Im Wohlstand ein Nichtort

Lebensstandort Deutschland (4): Nach einem Besuch lächeln selbst die Autobahnen – die Museumsinsel Hombroich

Hier hätte man das Paradies wohl kaum vermutet. Am Niederrhein, bei Neuss. Und doch. Zwischen Greven- und Korschenbroich: die Museumsinsel Hombroich. Ein ehemaliges Naturschutzgebiet, heute Park mit moderner Architektur und Kunst. Zum Schlendern und Staunen und Mit-der-Seele-Baumeln. Ein Stück Deutschland, an dem die deutschen Schlagzeilen ganz weit weg sind. Keine Krise und kein Reformbedarf. Hier leistet sich das System das Antlitz seiner Überwindung. Im schwindenden Wohlstand den Widerschein der Utopie. Den verwirklichten Nichtort.

Beginn der Promenade: ein Eingangsgebäude für Bauhaus-Freunde. Erwin Heerichs minimalistische Architektur, innen freundlich hell und spärlich schlichte Möbel. Netter Empfang. Dahinter der Kiesweg, der zu Heerichs „Turm“ führt. Dem flachen, verklinkerten Turm. Der ganz allein und leer einfach dasteht, zweckfrei und wunderschön. Mit dem eigentümlichen Hall innen drin, der zum Verweilen lädt.

Auf dem Weg geht’s weiter oder über Wiesen. Natur, gehegt un(d)gepflegt. Restsumpf neben Hortensiengarten. Durch die Auen, an einzelnen Skulpturen vorbei. Zum nächsten Bau, dem großen „Labyrinth“. Drinnen bunte Augenfreuden: Schwitters’ „Neues Merzbild“ und Arps Collagen. Seine Holzfiguren und deren verschmitzte Harmonie: das Hombroich’sche „Pars pro toto“. Ein Fautrier-Kopf, Picabia-Bilder, Kleins „Blue“-blauer Obelisk.

Unter wechselhaftem Himmel ohne Eile dann zur Cafeteria. Gläsern und gastfreundlich. Mit reichem Bauernfrühstück und Kaffee gegen Spende. Wohin nun weiter? Am liebsten gar nicht. Sich den Eskapismus gestatten. Und den Müßiggang. Doch der Kopf in den Wolken will mehr. Rüber zur „Schnecke“ und deren Gehäuse. Das birgt Aquarelle von Cézanne, Zeichnungen von Brancusi und spitze Winkel.

Danach wieder im Wind in der Aue. Sich wundern, wie leer es hier ist. An Wochentagen spaziert sich’s fast einsam. Ist das Gelände so weitläufig? Dass man fast niemanden trifft? Oder zu weit weg von allem? Dass fast niemand kommt? Wo sich Wege doch kreuzen, freundliche Gesichter. Oder leichte Irritation. Wohlwollen jedenfalls eigentlich immer.

Weiter. Nun nahe liegend: der Tadeusz-Pavillon. Oben mit seinem einsamen Fenster. Blick auf den Abhang. Erhabenheit. Innere Luftsprünge. Unten großflächig gemalte Suchspiele von Tadeusz. Verwirrung.

Nächste Station: die „Scheune“, der Veranstaltungsort. Für Unerhörtes, neue Neue Musik von Rihm (Wolfgang) und Riehm (Rolf). Kompositionen für Hombroich. Wohl leise Hymnen. Meist ist hier aber alles einfach still. Draußen verrostete Stühle im Kreis: das so genannte Parlament. Wieder der Wille zur Pause. Endlich Erich Fromm ernst nehmen und sein statt haben.

Und dann das Verzücken: Hierhin wird nicht nur geflohen. Auf der Museumsinsel wird auch gewohnt und gearbeitet. Von Künstlern natürlich. Dem Bildhauer Anatol Herzfeld zum Beispiel, in „Anatols Haus“ und Umgebung. Kriegskritik liegt rum. Und mit Glück kommt der Meister selbst zum Schwatz.

Dann den Rückzug antreten. Über die hölzerne Brücke in die „Hohe Galerie“. Halb leere Halle, schwarzes Granit. Dann noch mal durchs Labyrinth. Den Überblick längst verloren. Khmers und Kästen. Wieder der Turm.

Noch mal tief einatmen. Dann wieder raus ins verhartzte Deutschland. Aber welch ein Glück! Mit Hombroich im Kopf schaut sich’s gelassener. Noch die Autobahnen lächeln. Wo es Inseln gibt, gibt es Hoffnung.

GUIDO KIRSTEN