: Herzversagen nach Beruhigungsspritze
In einem niederösterreichischen Gefängnis stirbt ein Nigerianer unter dubiosen Umständen. Dies ist nicht der erste Fall. Angesichts steigender Häftlingszahlen und Personalabbaus rückt die Resozialisierung immer mehr in den Hintergrund
WIEN taz ■ Nigerianer, Drogendealer, HIV-positiv und renitent. Der 37-jährige Strafgefangene erfüllte sämtliche Klischees, die hierzulande über Afrikaner gepflegt werden. Nach einem Hofgang in der Haftanstalt Stein in Niederösterreich begann er am Donnerstag letzter Woche zu toben. Er soll mit einem Besteckmesser Mithäftlinge und Wachbeamte bedroht und verletzt haben. Daraufhin wurde er überwältigt und mit einem Sedativum niedergespritzt. Eine halbe Stunde später war er tot. Herzversagen, konstatierte der Anstaltsarzt. Die näheren Umstände des Vorfalls werden derzeit noch untersucht.
Der Nigerianer war in Rage geraten, weil man ihn nach dem Rundgang nicht gleich unter die Dusche ließ. Es herrschten Temperaturen über 30 Grad. Der Standard zitiert Karl Aichinger von der österreichischen Justizwachegewerkschaft: „Wenn Sie Häftlinge am heißesten Tag des Jahres, so wie an allen anderen Tagen auch, 23 Stunden ohne weitere Betreuung in den Zellen dunsten lassen müssen, sind Eskalationen programmiert.“ Er hofft, dass der Fall die Politik aufrüttelt.
Sparbudgets und gleichzeitiges Ansteigen von Häftlingszahlen haben zu dramatischer Personalknappheit geführt. Seit das Justizressort in FPÖ-Hand ist, wird man auch für leichte Delikte schnell eingesperrt – zumal als Ausländer. Allein in den letzten zwei Jahren stieg die Zahl der Personen im Strafvollzug von 7.000 auf 8.400. Ein Zehntel sitzt in Krems-Stein, 830 statt 700, wie es Größe und Personal entsprechen würde. Mindestens 450 zusätzliche Justizbeamte wären landesweit nach Schätzungen des Justizministeriums für einen geordneten Strafvollzug nötig.
Das Ziel der Resozialisierung ist immer mehr in den Hintergrund gerückt. Denn jeder dritte Häftling sollte eigentlich psychiatrisch behandelt werden, ein weiteres Drittel spricht wenig oder gar kein Deutsch. Was sich hinter den Mauern der Gefängnisse abspielt, dringt in der Regel nur dann an die Öffentlichkeit, wenn es Tote gibt. Den Tod eines Häftlings, der stundenlang an ein Bett geschnallt war, obwohl er aus der Nase blutete, deckte vor drei Jahren die Wiener Stadtzeitung Falter auf. Justizminister Dieter Böhmdorfer, der vor zwei Monaten zurücktrat, beschuldigte die Zeitung damals der unseriösen Berichterstattung. Der Gefangene sei an Herzversagen infolge von Darmverschluss gestorben, hieß es von offizieller Seite. Gurtbetten würden schon lange nicht mehr verwendet.
In der Tat hat das Parlament 1994 die Abschaffung der Züchtigungsbetten verfügt. Doch wie Fotos, die dem Falter unlängst zugespielt wurden, beweisen, war der aus Mund und Nase blutende Mann zum Zeitpunkt seines Todes angeschnallt. Die vor drei Jahren abgelehnte Untersuchung konnte jetzt nicht mehr verweigert werden.
Der Falter ist durch seine Berichterstattung zu einem Vorkämpfer für einen humaneren Strafvollzug geworden. Frustrierte Beamte nützen diese Tribüne, um ihrem Ärger Luft zu machen. „Die Gefängnisse werden zu Kliniken ohne Ärzte“, klagte einer. In der Anstalt Stein sind nur zwei Psychiater angestellt. Psychisch kranke Häftlinge, für die aus Budgetgründen keine angemessene Behandlung mehr vorgesehen ist, würden zunehmend zum Problem.
Schon 1999 war Österreich vom Anti-Folter-Komitee des Europarats gerügt worden, weil „der Standard der medizinischen Betreuung weit unterhalb dessen liegt, was in der Psychiatrie ziviler Institutionen geboten wird.“ Justizministerin Karin Miklautsch (FPÖ) ist vor Finanzminister Karl-Heinz Grasser (früher FPÖ, jetzt parteilos) schon einmal in die Knie gegangen. In den derzeitigen Budgetverhandlungen hätte sie Gelegenheit, ihr Durchsetzungsvermögen zu beweisen. RALF LEONHARD