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Archiv-Artikel

Zwischen Himmel und Hölle

Beim FC Bayern München stand die Krise im ersten Champions-League-Spiel gegen Celtic Glasgow bereits ante portas. Dann wurde Rheuma-Kai zum Mega-Makaay – und traf gleich zweimal

aus München THOMAS BECKER

Der Schuss in den Himmel kostet 15 Euro. Wie in einem Kokon hängt der Mensch in einer Art Flummi mit Gummiseilen, wird in die Luft katapultiert, eiert wie ein Jojo auf und ab, bis er allmählich wieder zur Ruhe kommt. Sky-Seat, so heißt die Jahrmarktattraktion vor dem Olympiastadion, die „für gesunde Menschen in der Regel keine unzulässig hohe Belastung“ darstellt. Wie gesund der oft so angestrengt schauende Ottmar Hitzfeld ist, weiß man nicht so genau. Aber dass der Bayern-Trainer liebend gern auf den Sky-Seat-Abend am Spielfeldrand verzichtet hätte, davon kann man ausgehen. Er hätte sicher mehr als 15 Euro bezahlt, um diesen nervtötenden Abend nicht erleben zu müssen. Zu seinem Pressesprecher sagte er nach dem Spiel: „Fußball ist manchmal wie Himmel und Hölle.“ Dazwischen liegen zuweilen nur drei Minuten.

In der 70.Minute stand es 0:1. Der FC Bayern München, selbst ernannter Mitfavorit auf den Gewinn der Champions League, drohte erneut sein Auftaktmatch zu verlieren. Sieben Mal hatte man zuletzt im wichtigsten europäischen Wettbewerb nicht gewonnen, sich vor einem Jahr mit zwei Punkten aus sechs Spielen schon in der Vorrunde verabschiedet. Gegen Celtic Glasgow zähle nun nichts anderes als ein Sieg, so die ultimative Vorgabe von Manager Hoeneß und den übrigen Granden. An ein erneutes Scheitern mochte erst gar niemand denken, offiziell.

Mittwochabend, kurz nach zehn, war es dann so weit: Seit einer Viertelstunde führten die Schotten nach Salihamidzics Auszeit gegen Thompson, das Desaster bahnte sich an. 0:1 im ersten Spiel, danach zweimal auswärts, am Samstag gegen den munteren Tabellenführer Leverkusen, bescheidene Stimmung im Team (Kahn motzt über Hargreaves, Ballack über Kahn, und mit Makaay redet sowieso keiner), dazu Scholls Muskelfaserriss, Netzers Ballack-Kritik („hat keine Führungsqualitäten“) – und dann noch dieses vermurkste Spiel. Ballack, Zé Roberto, Sagnol, Lizarazu? Alle nicht wirklich fit. Salihamidzic? Totalausfall. Zusammenspiel Pizarro/Makaay? Nö, du. Flanken von den Flügeln? Au weh!

Doch als Didier Agathe in ebenjener 70. Minute den Ball nach einer erneuten Konfusion in der Bayern-Abwehr knapp über Kahns Tor stolperte – anstatt zum 0:2 hinein –, da dämmerte es schon, schlich es sich heran, dieses nicht fassbare Phänomen. Drei Minuten später landete ein Abpraller vor den Füßen Makaays, und schon hatte man wieder alles richtig gemacht beim FC Bayern: Der Niederländer traf mit einem Volleyschuss, den in dieser Perfektion wohl nur eine Hand voll Kicker hinbekommen. Dass auf diesen Treffer ein Sturmlauf der Roten folgte, dem nur in den seltensten Fällen der Erfolg versagt bleibt, gehört zu den Gesetzmäßigkeiten des Olympiastadions. Und dass es erneut Makaay war, der kurz vor Schluss nach einem Torwart-Lapsus jubeln durfte, passte exakt ins Drehbuch: Mega-Makaay (Bild) rettet seinen neuen Klub, den er vor einem Jahr mit vier Treffern in zwei Spielen noch aus dem Bewerb geschossen hatte.

Erst mal durchatmen. Hitzfeld wusste schon vorher, „dass wir nicht von Anfang an zu einem flüssigen Spiel finden würden“. Sagte er nachher, wirkte aber glaubhaft. Ein „schwaches, ängstliches Spiel zu Beginn“ hatte er gesehen, konnte locker zugeben, dass „uns ein Stein vom Herzen gefallen ist. Ein 1:1 wäre zu wenig gewesen.“ Ballack räumte eine gewisse Hemmung ein, Kahn sprach von einer Verunsicherung aufgrund der Erlebnisse des letzten Jahres, sagte aber auch: „Ich habe immer daran geglaubt, dass wir das Spiel noch für uns entscheiden.“

Der 101. Sieg im Wettbewerb der Meister, ein selten wichtiger. Wohl noch nie war die Champions League für die Bayern so bedeutend wie in diesem Jahr, auch wenn stets der Gewinn des nationalen Titels als Saisonziel in den Vordergrund gerückt wird. Das hat weniger finanzielle Gründe wie in Dortmund, sondern mit dem Selbstwertgefühl des FC Bayern zu tun. Ein erneutes Scheitern würde den Klub in eine Krise mit unwägbarem Ausgang werfen. Umso wichtiger, dass nicht Pizarro oder Linke die Tore schossen, sondern die nie dagewesene Circa-18-Millionen-Euro-Investition Roy Makaay, kürzlich von einem Stadtmagazin noch als „Rheuma-Kai“ verhohnepipelt. Dass der Matchwinner nach dem Schlusspfiff recht lange auf einen Gratulanten warten musste, störte den Pragmatiker Hitzfeld nicht im Geringsten, er hatte die FC-Bayern-Diktion wieder gefunden: „Der ist ein Knipser. Und ein richtiger Torjäger hat halt das Glück, das er braucht.“ Dusel würde Hitzfeld nie sagen. Lieber 15 Euro zahlen.

Bayern München: Kahn - Sagnol, Kovac, Linke, Lizarazu (74. Rau) - Salihamidzic (74. Santa Cruz), Hargreaves, Ballack, Zé Roberto - Pizarro, MakaayCeltic: Hedman - Varga, Baldé, McNamara - Agathe, Lennon, Petrow, Sutton, Thompson - Hartson (66. Miller), LarssonZusch: 48.000; Tore: 0:1 Thompson (57.), 1:1 Makaay (73.), 2:1 Makaay (86.)