Einfach nur zusammensein …

… vielleicht auch mal etwas länger, vielleicht auch mal etwas enger: Udo Lindenberg singt in China mit dem Rockstar Cui Jian für Volkswagen

aus Peking GEORG BLUME

Man sei nicht zum ersten, sondern schon zum zweiten Mal in China – da gibt sich das dreißig Jahre alte Panik-Orchester weltläufig. Aber dann steht Udo Lindenbergs blonde Gesangspartnerin Ellen ten Damme auf der Straße des Ewigen Friedens in Peking und fragt überrascht: „Ist das hier nun kommunistische oder kapitalistische Architektur?“

Ten Dammes Blick wandert von der hell erleuchteten, noch auf Befehl Mao Tse-tungs errichteten Großen Halle des Volkes über den Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) hin zur glitzernden Glasfassade des neuen Büro- und Einkaufszentrum Oriental Plaza. Drüben in der Halle des Volkes, wo die Kommunisten regieren, ist Rockmusik immer noch verboten. Im Autosalon Wonderful World des Oriental Plaza hingegen, wo der Volkswagen-Konzern normalerweise seine teuersten Importmodelle präsentiert, spielt an diesem Dienstag das Panik-Orchester sowie dessen Gast Cui Jian. So sind die Pekinger Grenzen zwischen Kommunismus und Kapitalismus an diesem einen Abend wieder klar gezogen.

Cui Jian gilt mit 42 Jahren als Vater des chinesischen Rock ’n’ Roll, will aber mit Kurzhaarschnitt, T-Shirt und rotem Basekap vor allem jung wirken. So kämpft Chinas bekanntester Rockmusiker gegen seine eigene Legende an, die ihn bis heute zur Symbolfigur der Studentenrevolte von 1989 macht. Die meisten Chinesen kennen Cui vom Platz des Himmlischen Friedens, wo er vor 14 Jahren seine berühmtesten Konzerte vor den protestierenden Studenten gab. Umso erstaunlicher ist deswegen seine Rückkehr in die unmittelbare Nähe des Platzes unter dem Cover von Volkswagen, Chinas größtem Autohersteller mit einem Marktanteil von 35 Prozent. Welch seltsamer Auftritt! Da stehen Udo Lindenberg und Cui Jian auf einer mit grauem Teppichboden ausgelegten Bühne, auf der sich an anderen Tagen Autolimousinen drehen, und singen Cuis Einzelgänger-Ballade vom „Pseudomönch“. Wobei Lindenberg zwischen den Strophen auf Deutsch hinzudichtet: „Hey, wie wär’s / mit den deutsch-chinesischen Affairs?“

Die Rede ist von der ungewöhnlichen Liaison zwischen Volkswagen und Cui Jian. Walter Hanek, der für China verantwortliche VW-Importchef, erklärt die neue Leidenschaft seines Unternehmens: „Cui Jian steht für ein sauberes China. Er ist der Begründer der Rockmusik in diesem Land. Er ist immer für Demokratie eingetreten. Insofern ist er ein sehr, sehr positiver Imageträger für Volkswagen“.

In den ersten drei Punkten lässt sich Hanek kaum widersprechen, wohl aber im letzten. Denn seit wann sind standfeste Demokraten im kommunistischen China geeignete Werbeträger? Auch dafür aber hat Hanek eine Erklärung: „Es ist ein Glücksfall, dass wir von Volkswagen in China heute so stark sind, dass wir Künstler unterstützen können, die der Bevölkerung in schweren Zeiten Hoffnung gegeben haben“. Ob an diesem Punkt auch die Konzernspitze in Wolfsburg hinter Hanek steht? Mutig ist das schon, was Volkswagen hier als Konzernwerbung ohne Beteiligung seiner vermutlich entsetzten chinesischen Joint-Venture-Partner betreibt.

Denn Cui ist keiner, der sich leicht vereinnahmen lässt. Zum Oriental Plaza kommt er mit einem Gitarrenkoffer unterm Arm, spielt das eine Lied und verschwindet wieder. Auf der Bühne nimmt er den Namen seines deutschen Gastgebers nicht in den Mund. Genauso ist es bei seinem zweiten Konzertauftritt mit Lindenberg am Mittwoch, der nicht mehr im Autosalon stattfindet, sondern dort, wo gewöhnlich weder KP- noch VW-Manager hingehen.

Der Yan-Club befindet sich außerhalb Pekings auf dem Gelände einer alten Elektroröhrenfabrik. In den ehemaligen Arbeiterwohnungen haben sich Künstler und Musiker eingenistet. „Unsere Besucher sollen Erschütterungen ausgesetzt werden, die nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern ihr Inneres aufwühlen“, erläutert die energische Club-Gründerin Bing Bing den uneingeschränkten Avantgarde-Anspruch der örtlichen Szene. Bing ist Managerin, Kunstschaffende, Schriftstellerin und vor allem eine gute Freundin Cui Jians, die ihn auf seinem langen Leidensweg seit der blutigen Niederschlagung der Stundenrevolte begleitet hat. Jahrelang hatte Cui Auftrittsverbot. Später wurden seine Konzerte immer wieder in letzter Minute „aus Sicherheitsgründen“ abgesagt. Bis heute ist seine Musik aus Radio und Fernsehen verbannt.

Doch all das scheint am Mittwoch plötzlich vergessen. Volkswagen hat eine prächtige Anlage aufbauen lassen, den tausend Gästen werden Cocktails und Käsehäppchen serviert, und alle sind gekommen: Liedermacher, Bestseller-Autoren, Wissenschaftler, Theaterschauspieler. Wer im Publikum nicht deutsch ist, hat in der Pekinger Kulturszene Rang und Namen. „Es ist das erste Mal, dass wir zu einem Rockkonzert gehen und nicht das bedrückende Gefühl haben müssen, in den Untergrund abzutauchen“, sagt Bing. An ihrer Seite steht Xiao Qi, Zeitgenosse der ersten Pekinger Demokratiebewegung von 1978 und einst Bassist in Cui Jians Band. Xiao merkt an, dass die Musik von Udo Lindenberg selbst für die entwicklungsbedürftigen Pekinger Musikverhältnisse etwas altmodisch sei. Doch er setzt hinzu: „Wir haben keine Wahl. Ohne Unterstützung westlicher Musiker und Konzerne findet die chinesische Rockmusik nie den Anschluss.“

Das weiß wohl auch ihr wichtigster Protagonist. Im Yan-Club taut Cui Jian endlich auf: „Udo Lindenberg – willkommen in Peking! Was würde man denken, wenn wir uns ineinander verliebten. Wahrscheinlich nur, dass du Aids mitbringst“, sagt der Rocker bei der Zugabe. Udo, der alte Panikmacher, bearbeitet derweil das Schlagzeug. Er ist in China, sei es nun kommunistisch oder kapitalistisch, im Auftrag von VW über Minen gelaufen – und keine ist hochgegangen.