Klage über europäischen Tabubruch

Deutsch-französisches Milliardenprogramm werde kaum neue Jobs schaffen, meint die Mehrheit der Wirtschaftsforscher. Sie befürchten, dass der Stabilitätspakt außer Kraft gesetzt wird. Minderheitenvotum: Maastricht renovieren, mehr Geld ausgeben

aus Berlin HANNES KOCH

Das neue deutsch-französische Investitionsprogramm findet wenig Gnade bei Wirtschaftsforschern. „Der konjunkturpolitische Impuls ist sehr beschränkt“, sagt Gebhard Flaig vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Um kurzfristig Arbeitsplätze zu schaffen, seien die genannten Summen zu gering.

Bei ihrer gemeinsamen Kabinettssitzung hatten die französische und die deutsche Regierung am Donnerstag ein umfangreiches Programm zur Belebung der Konjunktur und der Forschungsförderung beschlossen. Finanziert werden sollen die Vorhaben mit Hilfe der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg. Geplant sind Mittel für Forschung und Entwicklung unter anderem beim digitalen terrestrischen Fernsehen, bei Energieerzeugung und -transport und den transnationalen Bahnnetzen. Auch der Autoverkehr soll durch modernste Telematik noch schneller über die Straßen rollen.

Während offiziell keine Investitionssummen bekannt gegeben wurden, hieß es intern, zwischen 2004 und 2010 sollten 3 bis 50 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das wären pro Jahr maximal etwa 7 Milliarden – verteilt über ganz Europa. Zum Vergleich: Das geplante Vorziehen der Steuerreform in Deutschland würde einen ungleich größeren Effekt auslösen. Damit will die Bundesregierung Wirtschaft und Verbrauchern in einem Jahr 15,6 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stellen.

Auch Tilman Brück vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin weist darauf hin, dass die Summen bescheiden seien und er große konjunkturelle Effekte vorerst nicht erwarte. Dies liege im Wesentlichen am langen Vorlauf, den große Infrastrukturprojekte wie die Verknüpfung der Netze des französischen Schnellzuges TGV und des deutschen ICE hätten.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW, Köln) und das Institut für Weltwirtschaft (IfW, Kiel) kritisierten vor allem die Finanzierung des geplanten Programms. Es sei falsch, „staatliche Investitionsprogramme durch neue Schulden zu bezahlen“, erklärt Joachim Scheide vom IfW. Anstatt die Europäische Investitionsbank frische Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen zu lassen, sollten Deutschland und Frankreich lieber überflüssige Ausgaben in ihren Haushalten streichen. IW-Forscher Berthold Busch „sieht das ganze Vorhaben sehr kritisch“. Angesichts hoher Haushaltsdefizite, die bereits die Grenze des europäischen Stabilitätspaktes überschritten, sei die verdeckte „Erhöhung der Staatsverschuldung der falsche Weg“. Sowohl das Kieler als auch das Kölner Institut bestreiten aber nicht, dass Deutschland und Frankreich mehr Geld in die Forschung investieren sollten. Die konkreten Projekte des Investitionsprogramms kritisieren sie nicht.

Einzig das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin) plädierte dafür, den europäischen Stabilitätspakt grundsätzlich zu renovieren, um Maßnahmen wie die aktuelle deutsch-französische Initiative trotz Haushaltskonsolidierung möglich zu machen. DIW-Forscher Brück hält es für ratsam, vorübergehend mehr Geld auszugeben und mehr Schulden aufzunehmen, als es die gegenwärtige Form des Maastricht-Vertrages gestattet. Dies diene dem Zweck, die schwache Nachfrage anzuheben und so das Wachstum in Gang zu bringen. Das DIW hat ein Konzept entwickelt, um die im Stabilitätspakt festgelegte Obergrenze der Verschuldung durch eine Begrenzung der Ausgaben zu ersetzen. Damit könnten die Staaten in Krisenzeiten mehr Geld investieren, um die Wirtschaft zu stützen. In Phasen guten Wachstums wären sie aber auch gezwungen, die Schulden zurückzuzahlen.