: „Mehr Interesse füreinander“
Zsuzsa Breier zieht aus ihrer Arbeit als Kulturattachée der Ungarischen Botschaft und Initiatorin des KULTURJAHRes der ZEHN das Resümee, dass im erweiterten Europa gerade Kultur eine enorm große Rolle spielt
taz: Im Verfassungsentwurf der EU spielt Kultur keine Rolle. Soll das Kulturjahr der Zehn dem von Wirtschaftspolitik dominierten Erweiterungsprojekt von Berlin aus zu kulturellem Bewusstsein verhelfen?
Zsuzsa Breier: In letzter Zeit gibt es doch immer mehr Wortmeldungen, die auf diese Lücke aufmerksam machen wollen. Kultur kann etwas enorm Wichtiges leisten, weit über das hinaus, was man mit Wirtschaftsdaten und politischen Sonntagsreden erreichen kann. Sie hat nämlich eine Sprache, die nicht nur für einen kleinen Kreis von Experten verständlich ist, sondern grundsätzlich für alle. Sie ist fähig zu formulieren, was die Menschen bewegt, wie sie denken und fühlen. Daher ist es grundsätzlich falsch, wenn man Kultur nur als etwas Begleitendes, Unterhaltsames, Schmückendes behandelt: sie kann und ist mehr und spielt gerade im erweiterten Europa eine enorm große Rolle.
Die neuen Mitgliedsländer zeigten bislang kaum Interesse füreinander, Impulse zur Kommunikation kommen von außen. Andererseits haben osteuropäische Kunst und Kultur im Westen höchstens den Reiz des Exotischen. Kann das Kulturjahr dem begegnen?
Ich glaube, gerade in diesem Punkt leistet unser Projekt etwas Besonderes und Neues. Es kam durch das Zusammenstehen der zehn Kulturdiplomaten der neuen EU-Länder zustande. Einer unserer Hauptimpulse war: Ein erstes Mal wollten wir nicht passiv zuschauen, nach welchen Kriterien man vom Westen aus Kultur aus dem Osten auswählt und präsentiert. Alle Vorschläge kamen direkt aus den Beitrittsländern und wurden dann im dialogischen Prozess mit den deutschen Kooperationspartnern gemeinsam gestaltet. Die Perspektiven der Neuen sind der Ansatz, welcher mit der westlichen Sicht auf diese Länder konfrontiert wird. Viele wunderbare Kooperationen entstanden dadurch, allerdings muss ich auch erwähnen, dass einige angefragte Partner diese Idee nicht verstanden und darauf beharren, allein zu bestimmen, was gilt und in Berlin gezeigt werden darf. Das war eine enttäuschende Erfahrung, weil ich denke: Im neuen Europa müssen wir als gleichberechtigte Partner miteinander umgehen.
Sie erwähnen einstigen Widerstand gegen die Diktatur als progressive, erfolgreiche Auflehnung. Teil dessen war eine politisch denkende und agierende Kultur. Die Euphorie wich der Ernüchterung. Kann man in den Beitrittsländern jene politische Kultur noch oder wieder finden?
Das ist sicherlich eine der größten Fragezeichen und auch ein Grund für zeitweilige Orientierungslosigkeit in der Kulturszene. Eine Kultur, die 40 Jahre lang sich im Widerstand formte, die ihren Hauptimpetus in der Auflehnung finden musste, fand sich plötzlich in der „Normalität“ wieder. Der Widerstand gegen die Diktatur war nicht mehr gefragt. Kunst ist zwar immer von Grund aus Widerstand – die Größenordnung und Bedeutung der zu bekämpfenden politischen Übel heute sind jedoch nicht zu vergleichen mit jenen der kommunistischen Regime. Viele haben ihr Gleichgewicht bei dieser neuen Balance verloren und fanden bei der Suche nach einem zu bekämpfenden neuen Gegenstand nicht das Richtige. Als Literaturwissenschaftlerin schätze ich Autoren, die über den – im Vergleich zur Kunst – engen Blickwinkel der Tages- und Parteipolitik hinaus gerade das erfüllen, was Kunst und Kultur mehr als Politik und Alltag vermögen: den Zugang zu einer komplexeren und differenzierteren Wirklichkeit zu öffnen.
Hat Berlin die Chance, eine weltoffene europäische Metropole zu werden, in der sich Künste und Kulturen – egal aus welcher Himmelsrichtung – konstruktiv begegnen können?
Vor Jahren, als ich in Berlin ankam, sah ich große Potenziale in dieser sich neu formierenden Hauptstadt, in der sich fast alle Länder der Welt vertreten lassen. Mit der Gründung des Kreises der Kulturdiplomaten und dem Kulturjahr der Zehn, aber auch durch meine kulturdiplomatische Tätigkeit an der Botschaft versuchte ich durch konkrete, immer dialogische Projekte bei diesem Prozess der Gestaltung aktiv mitzuwirken, Impulse zu geben. Vieles hat sich erfüllt, wunderbare Projekte und nachhaltige Strukturen entstanden, sehr schöne Begegnungen gab es. Es mag an meiner unruhigen und immer weiter schreitenden Natur liegen, dass ich nicht ganz zufrieden bin: Auf jeden Fall wünsche ich mir viel mehr Engagement in dieser Stadt, viel mehr Offenheit, vielleicht weniger Eitelkeit und mehr aufrichtiges Interesse füreinander.
Ihr Engagement in der Ungarischen Botschaft für den Kulturdialog Ungarn-Deutschland hieß auch, gegen Bürokratismus anzukämpfen. Ist jener ein Relikt aus alten Zeiten oder den Apparaten immanent?
Es ist so schwierig wie reizvoll, etwas Neues aufzubauen. Die Situation kennt doch jeder: Kreative, innovative Ideen sprengen altbewährte, bequeme Strukturen und fordern viel Mut, Flexibilität und den Einsatz einer mitdenkenden Umgebung. Als Unidozentin war ich gewohnt, selbstständig zu entscheiden und handeln. Danach war es eine große Herausforderung, in einer streng hierarchisierten Struktur meine Ideen umzusetzen. Ich habe letztlich das Gefühl, dass meine Denkweise und mein Handeln akzeptiert und geschätzt wurden. Sogar von denen, die anfangs diese intensive Kulturarbeit als unnötigen und belästigenden Aufwand betrachteten.
INTERVIEW: PAULA BÖTTCHER