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Archiv-Artikel

Vier Todesfälle und ein Schambein

Soko Bouillabaisse: Eine unglaubliche Verbrechensserie erschüttert ganz Deutschland

Als Ghostwriter Memoiren eines anderen zu verfassen, kann Mordgelüste erwecken

Die erste Leiche fand man Anfang Juni im Düsseldorfer Gourmetrestaurant „Provençal“. Es war ein unappetitlicher Anblick. Der Schädel des bekannten Sterne- und Fernsehkochs Pierre Emmerlich schwamm in einem Kessel Muschelbrühe neben Kabeljau, Schellfisch, Bückling und Seebarsch, einer Zwiebel, drei Knoblauchzehen, zwei gehackten Selleriestangen, Karotten, Tomaten und einem Lorbeerblatt. Die Hinrichtung ging als „Bouillabaisse-Massaker“ (Bild) in die Kriminalgeschichte ein.

Drei Wochen später wurde der Klaviervirtuose Wolfram Reckert in Oberhausen von einem Bechsteinflügel erschlagen. Wie der weltberühmte Chopin-Interpret unter das Instrument geraten konnte, war der Polizei zunächst ein Rätsel. Nähere Untersuchungen ergaben jedoch, dass jemand die Beine des Instruments angesägt und mittels implantierter Stahlgewichte zum Einsturz gebracht hatte. Reckert war wohl auf der Suche nach einem verlorenen Manschettenknopf unter dem Flügel herumgekrochen, als der Täter zuschlug.

Zur selben Zeit sorgte der Tod des Altinternationalen Dieter Fink in Kulmbach für Entsetzen. Der Stopper des 1. FC Nürnberg, Mitglied der Meistermannschaften von 1936 und 1948, Ritterkreuzträger und glückloser Trainer bei Eintracht Trier und Sturm Graz, lagerte fünf Monate im Hopfenspeicher der Kulmbacher Brauerei. Als man ihn entdeckte, wies der Körper starke Zeichen der Verwesung auf. An der Todesursache indes gab es keinen Zweifel. Augenscheinlich war Fink an 17 Kronkorken erstickt, die ihm jemand mit unvorstellbarer Grausamkeit zwischen die Hälften seines Gebisses geschoben hatte.

Die Ermittlungen in allen drei Fällen verliefen nur stockend. Daran änderte sich auch nichts, als im Juli die Insel Mainau bundesweit in die Schlagzeilen geriet, weil das ehemalige Busenwunder Vera Paterna, mittlerweile Vizepräsidentin des Hausfrauenbunds und Gattin des FDP-Präsidiumsmitglieds Gunther S., vom Oberdeck des Ausflugsdampfers „Rosalind II“ in den Bodensee stürzte, unter die Schiffsschraube geriet und stückweise verstarb. Erste Gerüchte, es habe sich dabei nicht um einen Unglücksfall gehandelt, verwies der Sprecher des Baden-Württembergischen Landeskiminalamts ins Reich der Fantasie. Dabei blieb es, bis die Historikerin Brigitte Seebacher, Witwe von Willy Brandt, nur knapp einem Anschlag entging.

Während einer Lesung in der Duisburger Stadtbibliothek, wo sie Passagen ihrer neuen Brandt-Erinnerungen zum Besten gab, kam es zu Tumulten in deren Folge eine Ladung Bleischrot in Richtung Bühne abgefeuert wurde. Die Autorin blieb unverletzt. Die alarmierten Ordnungskräfte nahmen zwei SPDler fest, die aber noch am selben Abend auf freien Fuß gesetzt wurden, da Zeugen lediglich beobachtet hatten, wie sie mehrere Hardcover-Ausgaben von Oskar Lafontaines Bekenntnis „Das Herz schlägt links“ wider Frau Seebacher geschleudert hatten.

Die Tatwaffe allerdings konnte drei Straßen weiter in einem Müllcontainer sichergestellt werden. Obwohl Fingerabdrücke säuberlich entfernt worden waren, führte der Duisburger Anschlag schließlich zur Aufklärung der unheimlichen Mordserie. Der Schuss hatte nämlich gar nicht der Brandt-Witwe, sondern ihrem in der Nähe sitzenden Lebensgefährten Hilmar Kopper gegolten. Tatsächlich mussten dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank sechs Schrotkugeln aus dem Schambein operiert werden. Er kommentierte das gegenüber der Bild-Zeitung mit einer verächtlichen Handbewegung und den Worten: „Nur ein Kleinanleger, alles Peanuts.“

Als ein Mitarbeiter der „Soko Bouillabaisse“ den grienenden Bankier auf der Titelseite sah, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er stürmte in die nächste Buchhandlung und ließ sich dessen Memoiren „Big Shots, Big Money – Kopper a konto“ aushändigen. Verfasst hatte das Buch ein gewisser Jürgen Pirk. Wie sich herausstellte, zeichnete Pirk auch für die millionenfach verkaufte Autobiografien des Emmerlich („Mehr als Salz und Pfeffer“) und der Paterna („Mein Himmel ist immer blau“) verantwortlich. Finks Erinnerungen hatte der Ghostwriter auf die Formel „Schüsse für Deutschland“ gebracht.

Als man Pirk in seinem Dahlemer Reihenhaus verhaftete, gestand er sofort. Zu seinen Motiven befragt, erklärte er bündig, nachdem auch sein dritter Roman von führenden Verlagshäusern abgelehnt worden sei, habe er es einfach nicht mehr ertragen, im Schatten dieser Kretins zu leben. Emmerlich sei in Wahrheit Päderast, Reckert ein lebensuntauglicher Fachidiot, die Paterna eine notorische Lügnerin und Fink zeitlebens ein alkoholgetränkter Kryptofaschist gewesen. Und der Kopper, erklärte Pirk, der Kopper sei einfach eine Sau. „So, und nu könnta mir abführn, de Merkel ihr verkrachtet Lebn schreib ik hinta Jittern ßuende.“ MICHAEL QUASTHOFF