„Viel Holz für einen“

Ralf Röhr hat in Lakoma ein Holzhaus errichtet, um das sorbische Dorf vorm Braunkohletagebau zu retten. Für das umgesiedelte Neu-Horno baut er einen Drachen, im Auftrag des Stromkonzerns

aus Lakoma WALTRAUD SCHWAB

So alt ist Ralf Röhr noch nicht, dass es Sinn machte zu behaupten, der Zufall, der ihn vor vier Jahren nach Lakoma geführt hat, unterscheide sich schicksalhaft von anderen Zufällen in seinem bisherigen Leben. Wohl aber hat das Dorf in der Lausitz, unweit von Cottbus, den 27-Jährigen schon eines gelehrt: Die persönliche Überzeugung darf durch Widersprüche nicht verwässert werden. Klingt schwierig. „Ist es auch“, sagt der Mann scheu. Auf der einen Seite ist er jemandes Gegner, auf der anderen Seite nimmt er dessen Aufträge an. Beides muss nebeneinander bestehen. Beides ist öffentlich.

„Viel Holz für einen, der sich ganz konkret auf die Seite dieses Naturstoffes geschlagen hat“, scherzt Röhr. Metaphernreiche Sätze liegen ihm. Was er wirklich denkt? Schwer zu sagen. Derzeit jedenfalls ist er Holzarbeiter, Holzbildhauer, Holzhausbauer. Er spürt den Windungen des Materials nach, gibt dem jahrelang gewachsenen Geheimnis, das darin liegt, Form. Aber er formt es auch seinen eigenen Vorstellungen entsprechend. Da ist er wieder: der Widerspruch. Röhr wirkt, als fühle er sich unwohl in seiner Haut, weil er in die Natur eingreift, wo er doch auf der anderen Seite dafür ist, dass in Lakoma genau dies nicht geschieht.

Der sorbische Ort Lakoma steht auf der Streichliste des Lausitzer Braunkohletagebaus. Nur widerwillig haben die damaligen Dörfler und Dörflerinnen noch vor der Wende ihre Höfe an das Braunkohlekombinat verkauft. Heute betrachtet sich dessen Nachfolgeunternehmen, die Lausitzer Bergbau AG, die vor zwei Jahren vom Stromkonzern Vattenfall übernommen wurde, als rechtmäßiger Besitzer des Ortes und der daran grenzenden Lakomaer Teiche.

Die sind der eigentliche Zankapfel. Unzählige bedrohte Kleintierarten tummeln sich in der 30 Hektar großen Gewässerlandschaft. Kröten, Unken, Frösche, Käfer, Vögel. Vor 200 Jahren zur Karpfenzucht angelegt, wurde daraus ein Biotop, das Lakoma seine wilde Idylle verleiht. Warum Cottbus, die Landesregierung und Vattenfall dennoch dafür sind, das Kleinod in einem 50 Meter tiefen, 16 Quadratkilometer großen Tagebauloch untergehen zu lassen, versteht, wer in Profitmaximierung denkt. In kurzfristiger.

Dabei sei die Natur doch das Faustpfand eines irgendwie gearteten Aufschwungs in der Lausitz, argumentieren die Naturschützer. „Welchem Tourismus nützt der Verweis auf einen See, der in 30 Jahren vor den Türen Cottbus’ entstanden sein wird, wenn der Tagebau geflutet ist?“ Die Frage wirkt unstatthaft. Die Grenze zur Polemik ist längst überschritten.

Ralf Röhr gehört zu jener Hand voll Leute, die in die leer stehenden Häuser Lakomas gezogen sind, als die Ökonomie der Braunkohle nach der Wende eine Zeit lang gegen die Ökologie gerechnet wurde. Die Lausitzer Bergbau AG erlaubte die Zwischennutzung der Gehöfte. Aus Sicht der etwa 40 Leute, die in Lakoma leben, und der Umweltverbände in Brandenburg sind bis heute noch nicht alle rechtlichen Möglichkeiten zur Rettung des Landstrichs ausgeschöpft. „Wir sind hier, weil das Dorf wachsen soll“, sagt Röhr.

Eigentlich wollte er Architektur studieren. Immatrikuliert war er bereits in Cottbus. Dann zog es ihn nach Russland. Den Mythos der dortigen Seele wollte er an der harten Wirklichkeit messen. Er half bei der Restaurierung einer alten Holzkirche und ließ sich davon beeindrucken, dass Gebäude und die Handwerkstechniken, in denen sie gefertigt wurden, so beständig sein können, dass sie auch Jahrhunderte später „noch leben“. Das ließ in ihm den Entschluss reifen, Zimmermann zu werden.

Die Auseinandersetzung mit alter Holzarchitektur führte Röhr zu seinen sorbischen Wurzeln. Baumstammgroße Wesen, die den Heimatmärchen entsprungen sind, hat er geschnitzt: Kobolde, Mittagsfrauen, Gnome. Auch ein „Mütterchen Lausitz“. Siegesgewiss hält sie die Bergbausymbole über ihren Kopf, innen aber ist sie hohl. Und obwohl Vattenfall keine Neubauten in Lakoma duldet, baute Röhr ein Blockhaus nach traditionellem Spreewälder Vorbild auf dem Dorfplatz. Es ist eine Synthese aus Holz, Moos, Schilf, Lehm und handwerklichem Können. Erst als die IBA, die Internationale Bauaustellung, die die Rekultivierung der Lausitzer Bergbaulandschaft begleitet, Bedarf für das Holzhaus angemeldet hat, legte sich der Konflikt mit dem Energiekonzern.

Vattenfall ist der Gegner der Lakomaer. Zu Ende September hat der Stromkonzern die Nutzungsverträge der meisten noch verbliebenen Häuser im Dorf gekündigt. Sukzessive sollen sie abgerissen werden, bestätigt ein Unternehmenssprecher.

Die Dorfbewohner fürchten, dass Vattenfall Tatsachen schaffen will. „Ein Zerstören auf Vorrat“, sei es, sagt einer. Die Lakomaer – darunter auch Röhr – werden dem Energiekonzern das Dorf nicht ohne Widerstand preis geben. Das ist das eine. Das andere aber ist, dass der junge Handwerker und Holzbildhauer derzeit an einem baumlangen Drachen arbeitet. Zusammen mit dem Hexenhäuschen von Baba Jaga, das auf Pfählen daneben steht, soll es auf dem Spielplatz von Neu-Horno stehen. Das alte Horno ist das andere umstrittene Lausitzer Dorf, das dem Braunkohletagebau weichen soll. Der Auftraggeber für die Spielgeräte ist Vattenfall. Das ist der Widerspruch, den Röhr aushalten muss, der ihn mit seinem Gegner jedoch auch im Dialog hält. Ginge es nach ihm selbst, wäre er gerne nicht mehr von Auftraggebern, sondern nur noch von der Natur abhängig. „In der Wüste kann ich mit meinem Wissen nichts bauen“, sagt er.

Röhr weiß, dass der Freiraum, den er in Lakoma kennen lernte, deshalb so groß ist, weil das Dorf in einem Zwischenzustand existiert. Regeln können hier ausgehandelt werden. Für ihn ein großer Gewinn. „Verantwortung zu tragen, das hat man hier gelernt. Und dass man etwas bewirken kann.“ Er wünscht sich, „dass man sich über die Notwendigkeit einigt, dieses Gebiet zu erhalten“. Und dass sich das Dorf danach in einem guten Sinne entwickeln möge mit Respekt der Natur gegenüber und unter Anerkennung der Vielfalt, die sie und der angrenzende Tagebau böten. „Natur und Technik zusammen. Nicht gegeneinander.“ Es sind einfache Worte. Es ist ein großes Plädoyer.

Infos: www.lacoma.de