: Grenzen der Reporter ohne Grenzen
Der Fall Aluni: Eine Journalistenorganisation, ein Untersuchungsrichter und ihre Verbindung
Ist er nun ein Terrorist oder nicht? Das Rätsel um Taisir Aluni geht weiter. Der spanische Journalist und Starreporter des „arabischen CNN“, al-Dschasira, bleibt weiterhin inhaftiert, wie der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón letzten Donnerstag bekannt gab. Er wirft Aluni vor, Mitglied von al-Qaida zu sein und für die Organisation Geld gesammelt zu haben. Klar ist: Aluni verfügt über beste Beziehungen zu al-Qaida. Er ist der Journalist, der die erste Videobotschaft Bin Ladens zugesteckt erhielt. Aber, beteuert er gegenüber den Medien: Die Kontakte seien rein beruflich.
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG), sonst nie um ein markiges Statement verlegen und immer gleich zur Stelle, wenn irgendwo Medienschaffende behelligt werden, schweigt. Keine Pressemitteilung, kein Protestbrief, keine Reaktion. Anfragen werden nur mündlich entgegengenommen und beantwortet, so die interne Order von Generalsekretär Robert Ménard in Paris. Auf ihr Schweigen angesprochen, erklärt ROG-Mediensprecherin Soria Blatmann: „Wir haben Vertrauen in die spanische Justiz, Spanien ist ein demokratischer Staat.“
Das stimmt wohl. Und Baltasar Garzón ist ein Untersuchungsrichter mit Format: Weltweit bekannt wurde er durch den Haftbefehl gegen Chiles Exdiktator Augusto Pinochet, der deshalb 16 Monate unter Hausarrest in England lebte. Heute ist Garzón bestrebt, weitere mutmaßliche Politverbrecher vor Gericht zu stellen, etwa Generäle der argentinischen Junta oder den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger – wegen der Verstrickung der US-Geheimdienste in den chilenischen Putsch, in deren Verlauf Salvator Allende ermordet wurde.
Von Garzóns Ruf als unerschrockener Kämpfer für Gerechtigkeit und als Schrecken der Schlächter profitiert auch Reporter ohne Grenzen: Die Organisation ernannte den populären Untersuchungsrichter zum Ehrenpräsidenten ihrer Unterorganisation Damocles, einem Netzwerk von Anwälten, Journalisten und Richtern, das das Ziel verfolgt, Verbrechen an Journalisten aufzuklären und die Täter zu bestrafen.
Die persönlichen Verflechtungen von ROG und Garzón hätten nichts mit ihrer Zurückhaltung im Fall Aluni zu tun, sagt ROG-Mediensprecherin Blatmann: „Wir verteidigen Journalisten nicht, nur weil sie Journalisten sind“, sagt sie. Diesen Eindruck hätte man bisher aber durchaus gewinnen können. So etwa im Zusammenhang mit der Rangliste der pressefreundlichsten Staaten, die Reporter ohne Grenzen letztes Jahr erstellt hat.
Die Schweiz etwa kam nur auf Platz 15, für die Musterdemokratie doch eher enttäuschend. Hauptgrund dafür war, dass Genfer Grenzbeamte nach dem 11. September 2001 einem Al-Dschasira-Mitarbeiter die Einreise in die Schweiz verweigert und ihn über Nacht in einer Zelle festgehalten hatten. Offiziell hieß es, er habe kein Visum gehabt. ROG hingegen sagt, der Journalist durfte nicht einreisen, weil er für al-Dschasira arbeite.
„Wir haben diesen Fernsehsender immer und systematisch verteidigt“, unterstreicht Blatmann. Jetzt aber, wo Freund Garzón ermittelt, stehen sie etwas verloren da. Dabei musste Garzón bereits im März dieses Jahres sieben Männer nach zweimonatiger Untersuchungshaft laufen lassen: Er konnte seinen Verdacht, sie seien Mitglieder von al-Qaida, nie belegen.
JEAN-FRANÇOIS TANDA