Banges Hoffen auf das erlösende Jawort

Leipzigs Oberbürgermeister Tiefensee, Hoffnungsträger der sächsischen SPD, lässt die Genossen weiter zappeln. Auf dem Parteitag am Wochenende blieb offen, ob er im Herbst 2004 gegen CDU-Ministerpräsident Milbradt antritt

LEIPZIG taz ■ Beim Leipziger SPD-Sonderparteitag ein Jahr vor der Landtagswahl erlöste Wolfgang Tiefensee seine sächsischen Genossen noch immer nicht. Trotz vieler Bitten und Anspielungen verweigerte der Leipziger Oberbürgermeister hartnäckig sein Ja zu einer Spitzenkandidatur.

Den Landtagsabgeordneten Karl Nolle erinnerte dieses Gebaren an den Philosophen Hegel, der eine Vorlesung kurzerhand ausfallen ließ, weil er mit dem Nachdenken noch nicht fertig war. Wer ein Ende des Kalkulierens zwischen Leipziger Hausmacht, Olympiabewerbung und einer womöglich undankbaren Kandidatur erwartet hatte, „den muss ich leider enttäuschen“, sagte der Umworbene unmissverständlich.

Und so sprach Tiefensee denn als Hauptredner und als Präsi-dent des Städtenetzwerks „Eurocities“ zum offiziellen Parteitagsthema der europäischen Einigung. Wie in einem Schattenspiel aber lief parallel dazu die eigentlich bewegende Themendiskussion ab – über den Zustand der sächsischen SPD und die teilweise kritische Positionierung zum bevorstehenden Bundesparteitag.

Die jüngste Emnid-Umfrage bescheinigt der Sachsen-SPD ganze 14 Prozent Wählerresonanz. Wenn die sächsischen Sozialdemokraten in Leipzig tagen, wählen sie zwar beharrlich das „Renaissance-Hotel“. Eine Wiederauferstehung aber ist von diesem Ort noch nicht ausgegangen. Was Wunder, wenn die Sehnsucht nach dem Strahlemann, der das Wahlergebnis nach Meinung der Landesvorsitzenden Constanze Krehl gleich auf „30 Prozent plus x“ hochschnellen ließe, ins Irrationale wächst. „Politik darf sich nicht in Personalplanung erschöpfen“, kontert der Angesprochene. Erst vor einem Jahr hatte er dem Kanzler einen Korb gegeben, als er nach einem Verwalter der Stagnation Ost Ausschau hielt.

Die Regie des Parteitages war so angelegt, dass sich Tiefensee noch einmal in die Herzen seiner Genossen reden musste. Nach diesem Auftritt scheint Tiefensee unentbehrlicher denn je, ob er wollte oder nicht. Er kann ja auch gar nicht anders und scheint seinem eigenen Charme zu erliegen, wenn er mit der Partei geradezu spielt, Streicheleinheiten für die deprimierten Genossen mit Seitenhieben auf einige Berliner Regierende kombiniert.

Wenn ihn die SPD frühestens ein halbes Jahr vor der Wahl nominiere, einen sachbezogenen Wahlkampf führe und Olympia unangetastet bliebe, soll er nach Informationen der Leipziger Volkszeitung zu einer Spitzenkandidatur bereit sein. „Zu lange am spitzen Bleistift gekaut“, kommentierte Tiefensee, aber Insider bestätigen den Trend. Der ehemalige Leipziger Universitätsrektor Cornelius Weiss hält die Fixierung auf Tiefensee jedoch für einen Fehler: „Macht er es doch nicht, hat man alle anderen Kandidaten bereits selbst als zweitklassig abgestempelt.“

Amtsinhaber Georg Milbradt gibt sich gelassen. „Auch ein Tiefensee zieht die SPD nicht aus dem Dauertief.“ Seine CDU versammelte sich ebenfalls am Sonnabend nebenan in Grimma – und wählte ihn mit fast 90 Prozent wieder zum Landesvorsitzenden. MICHAEL BARTSCH