: „Totentanz“ in Rüsselsheim
Spät erinnert die Opelstadt mit einem Mahnmal an sechs kriegsgefangene US-amerikanische Flieger, die vor genau 60 Jahren von einer außer Rand und Band geratenen Volksmenge totgeschlagen wurden. Nur zwei Flieger überlebten den Überfall
aus RüsselsheimKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Seit Donnerstagabend erinnert in der Grabenstraße in Rüsselsheim ein Mahnmal an die Lynchmorde an sechs US-amerikanischen Fliegern vor genau 60 Jahren. Die kriegsgefangenen Piloten waren von einer aufgebrachten Volksmenge durch die Straßen der Opelstadt gehetzt und dann erschlagen oder erschossen worden. Nur zwei der Flieger überlebten den „Totentanz“; so der Titel eines Buches des US-amerikanischen Historikers August Nigro zum Massaker. Sie hatten sich tot gestellt. Ein Bombenalarm ermöglichte ihnen die Flucht.
Einer der Überlebenden ist inzwischen verstorben. Der zweite Flieger, der entkommen konnte, Eugene Sidney Brown, war auf Einladung des Magistrats der Stadt und der privaten Initiative „Erinnerung“ dabei, als jetzt das Mahnmal mit den Porträts der ermordeten Soldaten an einer Mauer mit noch vier – neu eingefügten – Backsteinen aus den Tagen der Nazidiktatur im Rahmen einer Feierstunde enthüllt wurde.
Der inzwischen 80 Jahre alte Brown erzählt davon, dass er noch immer nicht weiß, wie er mit dem Erlebten fertig werden soll. Tränen fließen. Und der schon längst pensionierte ehemalige sozialdemokratische Landtagsabgeordnete aus Rüsselsheim, Martin Schlappner, spricht danach davon, dass „Tränen mehr sind als alle äußeren Symbole“.
Es war eine würdige Feier – nach all dem unwürdigen Streit um den Text auf der Gedenktafel neben den Porträts der Toten. Denn dass den Lynchmorden an den jungen Soldaten ein Bombenangriff der Royal Air Force auf Rüsselsheim und auf die für die Kriegsmaschinerie der Nazis so wichtigen Opelwerke voranging, der knapp 200 Menschen das Leben kostete, war für einige Rüsselsheimer der eigentliche barbarische Akt in diesem vorletzten Kriegsjahr. An dieses Verbrechen müsse erinnert werden, hieß es in Leserbriefen an die beiden Lokalzeitungen in Rüsselsheim; und nicht an die aus „nachvollziehbarem Zorn auf die Bomberpiloten“ erschlagenen sechs US-Flieger.
Weniger war allerdings davon die Rede, dass die meisten Toten nach dem Bombenangriff bei Opel in der Produktion eingesetzte Zwangsarbeiter waren. Erschlagen wurden zudem US-amerikanische Piloten, die mit dem Bombenangriff auf Rüsselsheim nichts zu tun hatten. Fünf der Mörder wurden gleich nach dem Krieg von einem US-Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Von der Initiative werde die Debatte im Grunde genommen begrüßt, endlich nämlich hätte sich die Bevölkerung intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt, sagte Stadtrat Ernst Peter Layer (SPD). Seine Partei, die über Jahrzehnte hinweg die Opelstadt regierte, hat allerdings selbst einen gewichtigen Anteil daran, dass die Lynchmorde an den US-Soldaten verschwiegen wurden. Mit dem Verweis auf die in Rüsselsheim noch lebenden Nachkommen der Mörder – nicht der Opfer – wurde das „traumatische Vermächtnis“, so der Rüsselsheimer Filmemacher Thomas Frickel, zum Tabuthema – gemacht.
Den jetzt verwendeten Text schrieb übrigens ein Priester der anglikanischen Kirche, der in England lebt: „Hier wurden am 26. August 1944 nach einem britischen Luftangriff auf Rüsselsheim acht amerikanische Flieger auf ihrem Weg in die Gefangenschaft von einer aufgebrachten Menge gejagt und gelyncht. Elmor L. Austin, William Dumont, Norman Rogers, John Sekul, Haigus Tufenkjian und Thomas D. Williams wurden ermordet. William Adams und Eugene S. Brown überlebten. Möge uns dieser Ort des Erinnerns zur Menschlichkeit mahnen.“